Gespräch: Frauke Adrians

„Es wird zu viel auf das Probespiel gestarrt“

Hochschul-Präsident Elmar Lampson über das Hamburger Projekt „Zukunft der Orchesterkultur“

Rubrik: Thema
erschienen in: das Orchester 10/22 , Seite 10

Noch immer ist die Ausbildung der Musikerinnen und Musiker auf das Probespiel fixiert. Dabei sind heute zunehmend Orchestermitglieder gefragt, die nicht nur exzellente Musiker sind, sondern darüber hinaus weitere Fähigkeiten und Qualitäten mitbringen. Elmar Lampson, scheidender Präsident der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, spricht über das internationale Austauschprogramm, in dem seine Hochschule sich gemeinsam mit Partnern in China und den USA den neuen Herausforderungen stellt.

Herr Professor Lampson, bei der Tagung „Zukunft(s)orchester“ 2020 waren Sie via Bildschirm aus Hamburg zugeschaltet und haben sich in einer der Diskussionsrunden für eine Reform des Probespiels, aber auch der gesamten Musikerausbildung ausgesprochen. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
Elmar Lampson: Orchester müssen stetig auf soziale, kulturelle und politische Entwicklungen und sich daraus ergebende Probleme reagieren. Die durch die Digitalisierung vorangetriebenen gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse des 21. Jahrhunderts stellen sie dabei vor besondere Herausforderungen. Nach meiner Auffassung braucht es daher gerade jetzt Musiker, die mehr sind als herausragende ­Instrumentalisten – die mitdenken und sich flexibel an der Ideenbildung zur Bewältigung dieser Herausforderungen beteiligen.
Leider werden Fragen nach Impulsen für die Weiterentwicklung der Orchesterkultur im Alltag weder der Orchester noch der Musikhochschulen genügend berücksichtigt. Alles ist auf die musikalische Spitzenleistung fokussiert. In den Hochschulen geht es hauptsächlich darum, die Absolventen auf die Anforderungen der Probespiele in den Orchestern vorzubereiten. In den Probespielen fordern die Orchester von den Bewerbern höchste künstlerisch-technische Standards. Diese sich wechselseitig bedingende Verengung der Ausbildung auf musikalische Spitzenleistung führt dazu, dass Fragen nach Fähigkeiten, die über das musikalische Können hinausgehen, von beiden Seiten im Allgemeinen nicht genügend berücksichtigt werden.

An Ihrer Hochschule gab es in den vergangenen Jahren ein internationales Austausch-Programm, das sich auch mit diesem Thema beschäftigt hat. Was war die Zielsetzung des Projekts?
Der notwendige Wandel zu einer neuen Orchesterkultur kann weder von den Orchestern noch von den Musikhochschulen allein angestoßen werden, weil beide in den Notwendigkeiten ihrer Systeme verhaftet sind. Ein Umdenken ist aber notwendig, um die Veränderungsprozesse der Gesellschaft aufzunehmen und Neuerungen im gesamten Erscheinungsbild der Orchester von den Konzertformaten bis hin zu veränderten Leitungs- und Organisationsformen anzustoßen. Hier setzt das Projekt „Zukunft der Orchesterkultur“ an.
Das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderte Projekt hat jungen Musikerinnen und Musikern aus Hamburg, China und den USA den Raum und das institutionelle Setting gegeben, zielgerichtet eigene Überlegungen für die Weiterentwicklung der Orchesterkultur anzustellen. Dabei haben die am Projekt beteiligten Partnerorchester und Hochschulen aus Hamburg, Shanghai und San Francisco in den letzten drei Jahren innovative Ausbildungs-, Organisa­tions- und Konzertformate erprobt.
In den zurückliegenden drei Jahren haben wir sehr viel Material gesammelt und befinden uns gerade mitten in der Auswertung. Aber schon jetzt lässt sich sagen: Mit Bezug auf die Orchester wird – nicht nur in Deutschland, sondern ebenso in den USA und China – zu viel auf das Probespiel gestarrt. Alles richtet sich lediglich auf das Instrumentalspiel aus, als gäbe es keine anderen Kriterien, die wichtig sind, wenn ein junger Mensch Teil eines Orchesters werden möchte. Vieles scheint uns doch sehr überlagert zu sein von überkommenen Anforderungen und Ritualen. Und da wäre es wichtig, wenn die Hochschulen und die Orchester sich miteinander über Reformansätze verständigen könnten.

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