Jörg Widmann

Es war einmal…

Fünf Stücke im Märchenton für Klarinette, Viola und Klavier, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2018
erschienen in: das Orchester 09/2018 , Seite 75

Fünf unterschiedlich lange, verträumte und virtuose Miniatu­ren legt Jörg Widmann hier vor. Die Besetzung lässt schon vor dem ersten Blick in die Noten an einen insgesamt warmen, eher in den Mittellagen zu findenden Klang denken. Einen „naiv-fantastischen Gegenentwurf zu unserer realen Welt mit all ihren Verwerfungen“ möchte er bieten mit dieser 2015 in Zürich uraufgeführten Sammlung, so schreibt Widmann. Das Uraufführungstrio Jörg Widmann (Klarinette), Tabea Zimmermann (Viola) und Dénes Várjon (Klavier) hat die Sammlung bereits auf CD eingespielt (Myrios, 2017) und dafür allenthalben gute Kritiken erhalten. Nun liegt das Werk in Notenform vor – Klarinettisten, Bratscher und Pianisten, die ihre Instrumente sehr gut im Griff haben und gern kammermusikalisch arbeiten, dürfen sich freuen.
Eine ganzseitige Abbildung des Inneren eines großen Kon­zertflü­gels zeigt am Anfang der Klavierstimme (die auch zugleich als Partitur dient), wo und wie der Pianist in das Instru­ment greifen bzw. es präparieren muss. Der dritte Satz („Die Eishöhle“) lässt es dann tatsächlich klirrend kalt wirken – vor allem die minutiös geplanten Sounds aus dem Flügel sorgen dafür. Während die Viola zu Beginn „Knarzlaute“ mit dem Bogen hervorruft, schlägt der Pianist mit einer Münze gegen Metallteile im Flügel (wo und wie, beschreibt Widmann sehr genau), zupft mit einem Plektron die Saiten oder dämpft mit der freien Hand die auf der Tastatur gespielten Töne im Saitenkasten ab. Ein „möglichst ,krankes‘, indifferentes Obertonspektrum“ fordert Widmann einmal – er hat genaue Vorstellungen, wie bitterkalt es in seiner virtuosen Eishöhle sein muss. Dieser zauberhaft expressive, sehr kurze Satz muss auf den Punkt genau ausgeführt werden, wie alles, was Widmann hier vom Trio fordert.
Verträumt und voller kleiner Kantilenen kommt der erste Satz („Es war einmal…“) daher. Viele genau notierte Tempowechsel und präzise Ablösungen, sehr leise (aber klangvolle) Passagen, virtuose Einschübe und viel Freude an Klangma­lerei machen diesen Satz aus. Die „Fata Morgana“ des zweiten Satzes entführt in das Märchen­land der fliegenden Teppiche und Lyrik schreibenden Prinzen. Die Viola beginnt mit einer Kadenz, die mit gar vielen Vorschlägen (genau ausgeschrieben) an orientalische Melodik und die typischen Umspielungen dieser erinnern soll. Später kommen Klarinette und Klavier dazu, melodisch im Reich von Tausend und einem Märchen, temperamentvoll und faszinierend.
„Suchend, spielerisch neckisch“ lautet die Satzbezeichnung des vierten Satzes, „Von Mädchen und Prin­zen“. Tatsächlich entspannt sich sofort ein hübsches Geplänkel zwischen Viola und Klarinette, zauberhaft. Das Klavier breitet, etwas gouvernantenhaft, einen flauschigen roten Teppich für die beiden märchenhaft Turtelnden dazu aus.
„Und wenn sie nicht gestorben sind…“, seufzt Widmann am Ende der Sammlung. Dieser fünfte Satz kommt im sehr ruhigem Tempo daher, lässt den Tönen nachspüren. Auch hier ist perfektes Zusammenspiel und Beherrschung der Instrumente Voraussetzung. Märchenhaft schön!
Heike Eickhoff