Klotz, Volker

Es lebe: Die Operette

Anläufe, sie neuerlich zu erwecken

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Königshausen & Neumann, Würzburg 2014
erschienen in: das Orchester 11/2014 , Seite 62

Sie sei, wie landläufig immer wieder behauptet wird, eine längst überholte, kleinbürgerliche, ja geradezu verdammungswürdige Schundkunst. Gemeint ist die Operette, jenes munter plappernde, heiter herumtollende, frivol singende, fulminant tanzende und satirische Seitenhiebe austeilende Kind der auf hohem Kothurn einherstolzierenden Opern-Schwester. „Was denn spricht dagegen“, so fragte sich der Literaturwissenschaftler, Dramaturg, Theaterkritiker und Kunstgeschichtler Volker Klotz, „uns packen zu lassen von der musikalischen Spannkraft der Bühnenwerke von Offenbach und Lehár, von Suppé und Sullivan?“ Frühzeitig entdeckte er seine Liebe für die heitere Muse, die seit alters her im faltenreichen Gewand der Opera-comique, Opera buffa, Vaudeville, Musiquette, Operette daherkommt. Heute leider viel zu selten und zu wenig in speziellen, ihren spezifischen Anforderungen gerecht werdenden Häusern.
Die Top-Ten von Fledermaus über Bettelstudent und Orpheus in der Unterwelt bis zur Lustigen Witwe fänden ja immer mal wieder ihren Platz in den hehren Musentempeln, aber sonst? Und so plädierte Volker Klotz bereits für diese Gattung in seinem Buch Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst. Um sie erhörter zu machen, ließ er nun das von der Theaterpraxis inspirierte Buch Es lebe: Die Operette folgen. Es sind ­Anläufe, um das einst heißgeliebte Kulturgut neuerlich zu erwecken. Seine Prämisse: „Operette ist eine ebenso einzigartige wie vielfältige wie lebenslustige Kunstgattung.“ Sein im „Präludium“ niedergeschriebenes Credo: Man solle dem Publikum „die tatsächliche Fülle und Vielfalt jener aufrührerischsten Form des heiteren Musiktheaters nicht vorenthalten“. Mittel zum Zweck sind ihm dabei Essays, dramaturgische Arbeitsnotizen, Gespräche, aussagekräftige und erläuterte Szenenfotos, Werkstattberichte, ­geänderte bzw. neugeschriebene Dialogszenen, Hinweise an die Regie,  Programmbeiträge.
Gestaffelt ist das alles in drei Kapitel: „Eigenheiten und Umstände von Operette überhaupt“ (darunter ein Steckbrief des Genres, Großstädte als Bühnenbild und der Widerspenstigen Lähmung), „Aus der Werkstatt“ (mit handfesten Regiehinweisen und Werkanalysen zu sechs Inszenierungen, die Meisterwerke wieder in Schwung bringen sollen) und „Wunschzettel“. Ihnen hintangestellt ist jeweils eine Bilanz. Und das Fazit des mit Sachkunde und missionarischem Eifer geschriebenen Buchs? Man solle Operette wieder ernst nehmen, weithin unbekannte Meisterwerke auf die Bühne holen und im Repertoire fest verankern, sie angemessen aufführen und von regielicher Geltungssucht befreien, ohne jedoch auf eine behutsame Modernisierung verzichten zu müssen.
Gewinn aus der Lektüre ziehen dürften nicht nur Theaterpraktiker, Studierende und Lehrende der Literatur-, Theater- und Musikwissenschaft, sondern auch alle Liebhaber des heiteren Musiktheaters. Zur Pflichtlektüre sei die Operettenhommage allen Kulturministern, entscheidungsgeforderten Parlamentariern und Rotstiftbeamten empfohlen, auf dass sie sich in ihren finanzpolitischen Streichorgien mäßigen mögen.
Peter Buske