Hanoncourt, Nikolaus / Johanna Fürstauer (Hg.)
“… es ging immer um Musik”
Eine Rückschau in Gesprächen
Dass der Sohn eines österreichischen Grafen und einer aus dem Hochadel stammenden Mutter anno 1929 in Berlin geboren wurde, war eher ein Zufall, denn sein Vater wirkte in der deutschen Metropole zwar eine Zeit lang als Bauingenieur, zog aber bald nach Graz. Der musikbegabte Sprössling, der wegen seines Geburtstags am 6. Dezember den Vornamen Nikolaus erhielt, sollte die musikalische Welt mit seinen eigenständigen Ideen nachhaltig bewegen, denn Ende der 1940er Jahre entdeckte der bis 1969 bei den Wiener Sinfonikern wirkende Cellist die von ihm mit wachen Ohren gehörte Alte Musik. Mit dem von ihm 1953 gegründeten Concentus Musicus Wien, das die tradierte Aufführungspraxis hochhielt und damit ein ungewohntes Klangbild propagierte, gab Harnoncourt der Musikwelt neue Impulse. Sein Ensemble spielte auf Originalinstrumenten, und dies so lebendig und frisch, dass die oft gehörten Kompositionen einen mitreißenden Drive erhielten und der gewohnten Routine entzogen wurden.
In einer Neuerscheinung aus dem Residenz-Verlag kommt jetzt der von der Macht der Musik überzeugte Experte, der ebenso innovativ wie retrospektiv vorgeht, selbst zu Wort. Im dritten Band seiner Gespräche, Reden und Texte präsentiert er wieder einmal seine Gedanken über die für ihn schönste, emotionellste und wichtigste aller Künste, denn sie erst garantiert nach seiner Ansicht das Mensch-Sein. Musik ist für Nikolaus Hanoncourt ein wahres Lebens-Mittel, denn sie ist für ihn unverzichtbar. Überhaupt sieht er in der Förderung des Kunstverständnisses eine Verpflichtung der Kulturpolitik gegenüber allen Schichten. Er hat dabei immer die ganze Musik im Blick, da er Spezialistentum ablehnt.
Das dreiteilig angelegte Buch ist für den Musikliebhaber eine Freude und stellt zugleich eine Herausforderung dar, die eigene Einstellung zu überprüfen. Dies gleich zu Beginn, wenn Harnoncourt, nach dem Stellenwert gefragt, den er der Kunst beimisst, ausgiebig und differenziert antwortet, u.a. mit dem Hinweis auf seine erste Begegnung mit einem Bild von Mark Rothko, denn die hatte ihm einst ein Schlüsselerlebnis beschert.
Für den Freund der Malerei sind gerade solche Aussagen wie auch Harnoncourts Statements zu Jan Brueghel oder Piero della Francesca wichtig. Bestehen doch Korrespondenzen zwischen den verschiedenen Künsten, die noch nicht genügend ausgelotet sind. So sieht der Musiker etwa eine Nähe zwischen della Francesca und Bruckner, gerade auch hinsichtlich ihrer Unvergleichbarkeit.
Unterschiedliche Gesprächspartner haben dem Dirigenten und Cellisten im Laufe der Jahre Fragen gestellt zu allen denkbaren Sujets und wollten von ihm auch wissen, was denn Musik sei. Dazu kann der Interviewte nur sagen, dass die Musik für ihn ein Rätsel darstellt wie jede Kunst, und er betont auch ihre emotionale Komponente, denn das Anstimmen eines bestimmten Stücks kann plötzlich eine ganze Trauergemeinde weinen lassen. Harnoncourt beantwortet im vorliegenden Buch auch die ausgefallendsten Fragen seiner Interviewer, mögen sie bestimmte Themen, Tonsetzer oder Interpreten betreffen, überaus differenziert und dabei aus dem Fundus seines enormen Musikwissens schöpfend.
Heide Seele