Schönberg, Arnold

Erwartung

Monodram op. 17

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 6770 2
erschienen in: das Orchester 04/2013 , Seite 73

Wergo hat Schönbergs frühestes vollendetes Bühnenwerk in der Aufnahme aus dem Jahr 1960 erneut vorgelegt. Ergänzt wurde die CD durch den Aufsatz „Das Drama der Erwartung – Schönbergs Begegnung mit Marie Pappenheim“, den Helmut Kirchmeyer für die 1964 vorangegangene LP geschrieben hatte. Der Text wird auch in englischer Übersetzung offeriert.
Erwartung entstand in zeitlicher Nachbarschaft mit dem Buch der hängenden Gärten op. 15, den Drei Klavierstücken op. 11 sowie den Fünf Orchesterstücken op. 16. Schönberg komponierte das Monodram 1909 während eines Sommeraufenthalts mit seiner Familie in Niederösterreich. Am Urlaubsort waren zeitweilig auch Berg und Webern anwesend sowie die Ärztin und Schriftstellerin Marie Pappenheim, die auf Bitte des Komponisten das Libretto für das expressionistische Seelengemälde schuf. Im selben Jahr malte Schönberg ein Porträt der Autorin.
Bedingt durch verschiedene Umstände fand die Uraufführung der schwierig zu realisierenden Komposition erst 1924 in Prag statt, unter Leitung von Alexander von Zemlinsky. Schönberg lässt eine gewisse Freiheit im Tempo zu, wenn er in der Partitur schreibt: „Die Metronomzahlen dürfen nicht wörtlich genommen werden, sondern sollen bloß die Zähleinheit des Grundtempos andeuten, aus dem das Tempo frei zu gestalten ist.“ Die Dauer der vorliegenden Aufnahme beläuft sich auf 31:25 Minuten. Hermann Scherchen gilt als einer der besten Dirigenten seiner Zeit und als
Experte für Musik des 20. Jahrhunderts. Seine Aufnahme der für großes Orchester komponierten Erwartung hat er so gründlich vorbereitet, dass Farbreichtum und kontrapunktische Stimmführung gut verständlich sind und überzeugend wirken. Bemerkenswert ist seine Fähigkeit, an der Partitur „kammermusikalisch“ durchsichtig zu arbeiten und die Sängerin in das dichte Gewebe des Orchesterparts zu integrieren.
Die absolute Sicherheit und Intensität, mit der Helga Pilarczyk den äußerst schwierigen Solopart der Erwartung gestaltete, bleibt unvergesslich. Sie war viele Jahre an der Hamburger Oper fest engagiert und wurde von dort aus durch Gastspiele u.a. an der Covent Garden Opera London, der Grand Opéra Paris sowie der Metropolitan Opera New York weltweit berühmt. Ihr Repertoire umfasste Rollen aus Werken wie Carmen, Don Carlos (Eboli), Turandot, Salome, Oedipus Rex, Glagolitische Messe, Erwartung, Pierrot Lunaire, Wozzeck (Marie) und Lulu.
Die vorliegende Aufnahme ist mehr als 50 Jahre alt. Erstaunlich ist die technisch gute Qualität, die auf der Arbeit damaliger und heutiger Tontechniker beruht. Das künstlerische Niveau ist durch die Solistin, den Dirigenten und natürlich den Komponisten Schönberg außergewöhnlich hoch. Die Veröffentlichung der historischen Einspielung ist ein Glücksfall.
Peter Roggenkamp