Uwe Mitsching
Erinnerung an die „Casa di Hans“
Zum zehnten Todestag: Auf den Spuren von Hans Werner Henze in Nürnberg und anderswo
Wenn man sich auf die Suche macht nach den Spuren des Lebens und Erbes von Hans Werner Henze, wird man weniger im Geburtsort Gütersloh fündig und noch weniger in Dresden, wo er am 27. Oktober 2012 gestorben ist – oder in Essen, wo 2010 das größte Festival zu seinen Ehren stattfand, das je einem lebenden Komponisten zuteil wurde. Mehr Erfolg wird man in München haben, wo Henze zeitweise gewohnt und die Biennale für modernes Musiktheater gegründet hat. Doch die meisten Erinnerungen finden sich in Nürnberg.
In Nürnberg lebt ein paar Straßenzüge hinter der Kaiserburg Michael Kerstan und ist für alle Fragen zu Hans Werner Henze ein kompetenter Gesprächspartner. Heute ist er der Geschäftsführer der „Hans Werner Henze Stiftung“, Mitglied des Stiftungsrats, lebt inmitten vieler Andenken an Henze. Er war auch im juristischen Sinne mit Henze verpartnert, aber die Villa La Leprara in Italien, wo Henze viele Jahre seines Lebens, auch mit Kerstan, verbracht hat, hat er vor Jahren schon im Auftrag der Stiftung verkaufen müssen, weil die Unterhaltskosten nach Henzes Tod zu hoch geworden waren. Die deutsche Kulturministerin war offenbar nicht bereit, dieses „Schatzhaus der Musik“ für die Bundesrepublik als Henze-Gedenkstätte anzukaufen. Es wäre, so Kerstans Einschätzung, ein Zeugnis für die deutsch-italienische Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts gewesen. Schon vor dem Verkauf hat Kerstan dort Besucher:innen herumgeführt.
Aber der Verkauf des Hauses – an ein Ehepaar, das sich nur zeitweise dort aufhält – war nicht der einzige Auftrag der Stiftung. Weiterhin müssen sie und Kerstan sich um die Förderung von Stipendiat:innen aus dem Bereich des kompositorischen Nachwuchses kümmern: zwei Musiker:innen pro Jahr, „fertig ausgebildet, aber noch nicht arriviert“. Kerstans wichtigster Stiftungsauftrag aber ist die Sicherung und Verbreitung von Henzes gesamtem Werk.
Nach dem Verkauf der italienischen Villa wurde München Sitz der Henze-Stiftung, Vorstand wurde Reinhold Kreile. Seit 1961 war er Henzes Anwalt und enger Freund, zudem dreißig Jahre lang Präsident der GEMA, dann Vorstand der vierköpfigen Henze-Stiftung. Die Stiftungsaufsicht nimmt die Regierung von Oberbayern wahr, wodurch auch die Gemeinnützigkeit gewährleistet ist. Alle Akten aber sind bei Michael Kerstan in seinem Nürnberger Büro deponiert. Die Verlegung von Italien nach Deutschland hat die Arbeit mit dem Henze-Erbe erheblich vereinfacht.
Zwischen München und Rom
Hans Werner Henze und Michael Kerstan, das war eine Verbindung seit 1983, als sie sich bei der Uraufführung von Die englische Katze in Schwetzingen kennenlernten. Henze hat selbst inszeniert, Kerstan war eher ein „Kulissenschieber“. Danach riss die Verbindung zwischen dem inzwischen berühmten und seit Boulevard Solitude auch wirtschaftlich unabhängigen Henze und dem diplomierten Erziehungswissenschaftler und ambitionierten Regisseur Kerstan nicht mehr ab. Man traf sich in Köln während Henzes Professur dort, Kerstan erinnert sich an die gemeinsame Arbeit seit 1986 für die Münchner Biennale, die 1988 mit sechs Opern-Uraufführungen ihren ersten Höhepunkt hatte. Da waren die beiden, so Kerstan, schon fast verpartnert, die Arbeitssitzungen in der Münchner Zweibrückenstraße dauerten nächtelang meistens bis fünf Uhr früh, gingen dann schon um zehn mit der Suche nach Aufführungsorten weiter.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 10/2022