Oliver Vogel
Erik Satie
Der skeptische Klassiker
Nach drei Jahrzehnten liegt hier endlich wieder ein Buch vor, das sich in deutscher Sprache mit dem vor 100 Jahren gestorbenen Erik Satie (1866-1925) befasst – und das so gründlich wie nie. Oliver Vogel unternimmt den fast unmöglichen Versuch, diesen französischen Komponisten in seinen zahlreichen Widersprüchen zu erfassen: zwischen Amateur und Akademiker, Außenseiter und Wegbereiter, Armut und Weltruhm, Avantgarde-Experiment und Gebrauchsmusik, Einfachheit und Komplexität, Entspanntheit und Provokation, Kabarett und Kontrapunkt sowie Kompromisslosigkeit und Pragmatismus. Sein Grundprinzip war ausdrücklich nicht das der Leistung, sondern das des Zweifels. Laut Vogel kompensierte Satie seinen Mangel an Talent durch immer neue Masken und Mystifikationen von „Herrn Habenichts“ bis zu Sokrates. Den zu seiner Zeit heftig diskutierten Begriff „Fortschritt“ lehnte er ab, beziehungsweise suchte diesen im Rückgriff auf die Traditionen des Mittelalters und sogar der Antike. Einig sind sich alle nur darin, dass Saties Musik eine „klarsichtige Naivität“ aufweist (bekanntlich nannte er als sein Ideal immer wieder eine Musik „ohne Soße“). Er eignete sich die stilistischen Errungenschaften seiner älteren Kollegen Richard Wagner und Claude Debussy an, um deren jeweilige Ästhetik letztlich zu verwerfen. Ähnlich ließen sich dann einige jüngere französische Komponisten wie Maurice Ravel, Darius Milhaud und Francis Poulenc von ihm beeinflussen. Der seinerseits vor 150 Jahren geborene (also nur neun Jahre jüngere) Ravel lancierte 1911 eine regelrechte „Kampagne“, die Satie (der wegen erster Misserfolge seit 15 Jahren zurückgezogen lebte) endgültig zum Durchbruch verhalf – freilich missverstanden als „Alternativ-Star der Moderne“ , wo Satie sich doch scheute, „verbindliche Antworten zu erteilen“.
Es bleibt dabei: Je mehr Details auch dieses Buch über seinen Gegenstand ansammelt, desto weiter scheint sich dieser von uns zu entfernen. Dennoch sorgt hier vieles für willkommene Erkenntnisse und diese Publikation ist (kurzweilige) Pflichtlektüre für alle, die sich für die (nicht nur französische) Musikgeschichte jener Zeit interessieren. Geradezu meisterhaft erscheinen die neun Seiten über den frühen Werkzyklus Gnossiennes – ein Musterbeispiel für ebenso erhellende wie verständlich formulierte Musikwissenschaft. Spannend etwa, dass Satie sich dazu ursprünglich von Volksmusikern aus Rumänien bei der Pariser Weltausstellung von 1889 anregen ließ, ähnlich wie später Béla Bartók durch seine rumänische Feldforschung.
Ingo Hoddick