Ute Jung-Kaiser/Annette Simonis (Hg.)
Erich Wolfgang Korngold, „der kleine Mozart“
Das Frühwerk eines Genies zwischen Tradition und Fortschritt
Im Alter von siebzehn Jahren hatte Erich Wolfgang Korngold bereits zwei Opern, ein Ballett, mehrere Orchesterwerke, allerhand Kammermusik, zwei Klaviersonaten und einige Lieder geschaffen – von diversen verschollenen Werken abgesehen. Der vorliegende Band stellt es sich zur Aufgabe, diesen Themenbereich unter verschiedensten Aspekten zu beleuchten. Dabei erfreuen besonders jene Beiträge, die sich – ohne vorwiegend in musikwissenschaftliche Analyse zu verfallen – mit eher unbekannteren Schaffensbereichen befassen, vor allem der Klaviermusik (den Märchenbildern op. 3 und dem Zyklus Was der Wald erzählt), den Liedern und der Ballettpantomine Der Schneemann (ursprünglich nur für Klavier und Violine; Zemlinskys Orchestrierung wurde mehrfach revidiert).
Hier haben wir sehr gut lesbare, erhellende Einzelstudien, die in ihrer Gesamtheit die „Wunderkind-Problematik“ einerseits, die musikalische Realität andererseits in großer Vielfalt erkunden. Die Traditionsgebundenheit des jungen Komponisten wie seine Eigenheiten erfahren hier erhellende Beleuchtung. Die Betrachtung der Sinfonietta op. 5 und der Ouvertüre Sursum corda op. 13 sind für den Nichtmusikwissenschaftler eine nicht ganz leichte Lektüre. Die Beiträge zu Klaviermusik und dem Liedschaffen ergänzen sich von der Vielfalt der Ansätze her. Die beiden Betrachtungen des Schneemanns gehen weit über Werkdiskussion und Kontextualisierung der Aufführung und Rezeption der Komposition hinaus.
Zwar mag es der Betrachtung mancher Details gelegentlich etwas an Objektivität mangeln, aber es wird beispielsweise ein lebendiges Bild der Stadt Wien um 1910 gezeichnet. Und während der interdisziplinäre Ansatz zur Oper Violanta op. 8 interessante neue Perspektiven eröffnet, fehlt doch die essenzielle Verortung des Werks in der zeitgenössischen Musikgeschichte (etwa Max von Schillings’ Mona Lisa oder Alexander Zemlinskys Eine florentinische Tragödie) ebenso wie die Inbeziehungsetzung zu der am selben Abend uraufgeführten Oper Korngolds Der Ring des Polykrates op. 7 – ein für den Blick auf den Heranwachsenden wahrscheinlich nicht minder interessantes Werk.
Zum Schluss wird mit zwei Beiträgen zu Vergangenheit und Gegenwart der Oper Die tote Stadt die Zentralperspektive auf das Wunderkind Korngold verlassen und der Versuch unternommen, die „Tragfähigkeit, Aktualität der Musikdramen Korngolds“ zu liefern. Da sich dieser Versuch nur auf Korngolds berühmteste Oper beschränkt und Querverweise zu den früheren Opern fehlen, bleibt der Schlusseindruck des Buchs hinter dem vielversprechenden Hauptteil zurück. Dies ist aber nur eine kleine Einschränkung mit Blick auf den vorzüglich illustrierten und gut lektorierten Band, dessen Lektüre durch ein Register erleichtert wird. Leider fehlen teilweise hinreichende Bildnachweise.
Jürgen Schaarwächter