Roland Dippel

Erfurt: Griechisches Opfer-Spektakel

Die Uraufführung von Nelson Taylors Oper „Eleni“ am Theater Erfurt wartet mit filmmusikalischen Klischees auf

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 03/2023 , Seite 48

Eine „griechische Spielzeit“ hatte Generalintendant Guy Montavon angekündigt. Vor allem mit den Wiederentdeckungen von Christoph Willibald Glucks Telemaco, Felix Weingartners Orestes, dazu Richard Strauss’ Elektra, Rossinis Die Belagerung von Korinth und Mikis Theodorakis’ Ballett Zorbas offeriert das Theater Erfurt einen der aufsehenerregendsten Musiktheater-Spielpläne dieser Saison. Daran ändert auch der zwiespältige Eindruck der Uraufführung der Oper Eleni des griechisch-australischen Komponisten Nestor Taylor (geb. 1963) nichts. Am 3. Dezember fand die Premiere der nach einem Buch von Nicholas Gage verfassten Oper statt. Gage hatte 1963 das Schicksal seiner Mutter Eleni Gatzoyiannis im Rückblick beschrieben. Sie wurde beschuldigt, eine Massenflucht organisiert zu haben. Man verhaftete und folterte sie und richtete sie am 28. August 1948 hin. Eleni „gehörte zu den 600000 Griechen, die in dem Krieg, der von 1940 bis 1949 das Land verheerte, den Tod fanden“. Ihre Kinder überlebten und wuchsen in den USA auf.
Der Librettist der Oper, Fergus Carrie, distanzierte sich von Nicholas Gages Reportage-Stil. Zwischen den Hauptszenen, die die Geschichte der Mutter schildern, sieht man den Sohn Nicholas bei der journalistischen Arbeit. Das griechische Volksleben mit seinen Extremen zwischen Glauben und Aberglauben ist ein wichtiger koloristischer Akzent des von Taylor zunächst als Oratorium zum 200-Jahr-Jubiläum der griechischen Unabhängigkeit geplanten Lyric Drama.
Seine Partitur wirkt wie eine effektsicher gebaute Filmmusik aus Hollywoods besten Zeiten. Das Philharmonische Orchester Erfurt zeigt diese tonale Selbstgewissheit laut und deutlich. Viele Anleihen von Schostakowitsch, Prokofjew und anderen sind erkennbar. Aber die Musik des sich als eklektisch bezeichnenden Nestor Taylor erweist sich als nur wenig abwechslungsreich und unter dem Dirigat von Myron Michailidis sogar als weitgehend starr. Eigentlich müsste hier mit Detailfreude gestaltet werden, aber Michailidis schätzt kräftige Lautstärken. Jessica Rose Cambio, die Sängerin der Eleni, zeigt bei den Folterszenen und ihren letzten Soli nicht wegen der dramatischen Anspannung, sondern aufgrund des ständigen Ansingens gegen Orchestermassen Ermüdungserscheinungen. Besser geht es dem Tenor Brett Sprague als ihrem Sohn Nicholas in der zweiten großen Partie der Oper.
Am Beginn des zweiten Teils finden sich in Nicholas’ Solo mit dem Kinderchor bezwingende Harmonien, bevor Taylor wieder an das bisherige Klanggewitter der koloristischen Zutaten anschließt. Aus dem Ensemble ragen Kakhaber Shavidze (Richter), Máté Sólyom-Nagy (Anführer der Rebellen), Siyabulela Ntlale (Vangelis), Astrid Thelemann (Nàkova) und Valeria Mudra (Milia) heraus. Sie wissen mit Taylors akustischem Overflow besser umzugehen als die extrem geforderte Protagonistin. Die Musik findet in ihrem permanent extrovertierten Gestus nur selten zur sensiblen Auseinandersetzung mit den Leiden einer Mutter. Die realistischen Kostüme von Eric Chevalier sind dem Geschehen angemessen. Projektionen eines griechischen Dorfplatzes und vor allem von Bäumen mit daran aufgeknüpften Gefangenen streifen eine unbedenkliche Kunstgewerblichkeit. Stellenweise ähnelt die Visualisierung mit ihrer naiven Ausgestaltung den Raummalereien urbaner Tavernen. Die Volksszenen wirken arrangiert, die massive Gefährdung wird nicht deutlich. Mit den Solist:innen hat Guy Montavon eine zweckdienliche, prägnante Personenregie erarbeitet. Am Ende besteht wenig Erschütterung, aber eine nachhaltige Ohrenmüdigkeit für filmmusikalische Klischees.