Uwe Schweikert
Erfahrungsraum Oper
Porträts und Perspektiven
Uwe Schweikert ist seit Jahrzehnten zweifellos eine der gewichtigsten Stimmen in der Musik- und Opernkritik im deutschsprachigen Raum. Mit 77 hat er nun so etwas wie ein rückblickendes Bekenntnisbuch vorgelegt, in dem sich „die verschlungenen Wege des eigenen Erlebens“ widerspiegeln, die „sich im Nachhinein zu einem stimmigen Bild zusammenfügen – jenem Grundklang der eigenen Natur, der uns nach Paul Bekkers Überzeugung immer wieder den gleichen Grundton, nur entsprechend den Anlässen in verschiedenartigen Schattierungen hören lassen wird“.
Was Bekker 1921 in seinen Kritischen Zeitbildern über sich selbst schrieb, „dass der Kritiker nicht Rezensionsautomat ist, vielmehr innerlich erlebender, von seinen Erlebnissen getriebener, an ihnen wachsender Mensch“, reklamiert Schweikert auch für sich. Die Auswahl von 23 Essays und Aufsätzen der vergangenen zwei Jahrzehnte, sortiert nach „Porträts“, „Perspektiven“ und „Lektüren“, belegt Bekkers Maxime: „Erlebnis aber sucht nach Erkenntnis.“ Schweikert widmet sich zentralen Komponisten wie populären Schlachtrössern des Repertoires. Sein besonderes Interesse gilt allerdings „den vernachlässigten Randfiguren und den übersehenen, jedenfalls in ihrer Bedeutung verkannten und entsprechend selten gespielten Werken.“
In seinem Sammelband setzt er zwei Schwerpunkte, die Auseinandersetzung mit der in Deutschland noch immer (zu) wenig bekannten französischen Oper von Rameau bis Poulenc und Donizetti, „dessen Spätwerk aber bereits ausformuliert, was man gemeinhin als Errungenschaften dem jungen Verdi zuschreibt“.
Da Schweikert Verdi 2013 bereits einen eigenen Sammelband gewidmet hatte (Das Wahre erfinden. Verdis Musiktheater), finden sich im vorliegenden Band nur zwei Verdi-Beiträge aus jüngerer Zeit, einer über Un ballo in maschera, ein anderer über den Falstaff. „Flaschenpost in die Zukunft“ nennt Schweikert diesen Essay, der erstmals im Jahrbuch der Zeitschrift Opernwelt 2013 erschien. In ihm verrät er auf die ihm eigene intelligent-geistreiche Art, was Verdis Falstaff mit Wagner zu tun habe – dies einer der lesenswertesten Aufsätze des Sammelbandes, dessen erkenntnisreiche wie unterhaltsam geschriebene Beiträge ihre Entstehung nicht verleugnen.
„Manches an Fakten und Argumentation wiederholt sich“, gesteht Schweikert. Aber wer hat schon seine vielen verstreuten Publikationen gelesen? In seinem jüngsten Sammelband, der gewissenhaft die Drucknachweise der Texte verzeichnet und sogar ein kostenloses E-Book enthält, sind wesentliche, hochinteressante Arbeiten gebündelt, die einen weiten Bogen vom Barock bis zur Moderne spannen. Sie werfen ein neues Licht auf die historische, musikalisch-dramaturgische und wirkungsgeschichtliche Bedeutung bekannter (Mozart, Puccini, Wagner, Gluck) wie weniger bekannter Komponisten (Berlioz, Rimskij-Korsakow, Massenet) im Erfahrungsraum Oper.
Dieter David Scholz