Michael Heinemann/ Bernhard Hentrich
Erfahrungen mit Bach
Ein Dresdner Bach-Buch
Ein Dresdner Bach-Buch? Das zwingt einen Augenblick lang zum Nachdenken, denn so ganz viel ist es nicht, das einem zu Bach und Dresden einfällt. Was auch die Herausgeber dazu nötigt, von einer „ungewöhnlichen Konjunktion“ zu sprechen, sie aber auch sogleich zu rechtfertigen, insofern alle Autoren dieses Sammelbandes in irgendeiner Weise persönlich mit Dresden zu tun haben (sollten) und/oder eben über besagte Konjunktion reflektieren. Bei drei der Autoren ist dieser Zusammenhang nicht allzu evident, aber das zu monieren, wäre plumpe Beckmesserei.
Die prominenteste Verbindung zwischen Bach und Dresden ist jene bekannte Geschichte vom nicht stattgefundenen Wettbewerb zwischen dem Thomaskantor und dem französischen Virtuosen Louis Marchand, die im vorliegenden Buch nur gestreift wird. Den Schwerpunkt von Bachs Dresden-Verbindung legt Michael Heinemann auf jenes Bemühungen um den Titel eines „Hof-Compositeurs“. Derselbe Autor geht in einem weiteren Text der „unterirdischen“ Verbindung zwischen Bach und seinem Schüler Gottfried August Homilius nach, dem Musikdirektor und Organist an den drei Dresdner Hauptkirchen, auch hier durchaus mit neuen bzw. nachdenkenswerten Erkenntnissen aufwartend.
Lesenswert sind auch die Überlegungen Carlos Lozano Fernandez’ „Albert Schiffners Beiträge zur Dresdner Bachrezeption“, der quasi- genealogische Tafeln zur geistigen Nachkommenschaft verschiedener Komponisten entwickelte, darunter eben auch Bach und der eben dadurch in persönlicher Verbindung mit und zu Robert Schumann stand. Heinrich Magirius thematisiert „Bachs Passionen und die h-Moll-Messe“ vor allem unter aufführungspraktischen Gesichtspunkten. Eckart Haupt geht „Vier Jahrzehnten Bach-Pflege in Dresden“ nach und Holger Eichhorn verfolgt die unterschiedliche, epochenbedingte Aufführungsgeschichte Bach’scher Musik.
Hans-Christoph Rademann vermögen wir nicht so ganz zu glauben, wenn er „im Vorschulalter“ sich bereits vom „Gebt mir meinen Jesum wieder“ und „Erbarme dich“ aus der Matthäuspassion faszinieren ließ, weiß doch Wolfgang Henrich – glaubwürdiger – Gegenteiliges zu berichten: „Allein die Länge der Matthäuspassion von über drei Stunden Dauer – und das ohne Pause: für mich als Kind eine wahre Tortur.“ Die Beiträge des Bandes lassen sich in (mehr oder weniger) wissenschaftliche Reflexionen zum Thema und persönliche Erfahrungen mit Bachs Musik, vor allem eben in der Rezeption, aufteilen. Diese geschieht vielfach zunächst weniger aus musikalischen als aus christlichen Motiven, wobei aber immerhin auch der interessanten Frage nachgegangen wird, ob man, um zum Beispiel Bachs religiöses Schaffen authentisch aufführen zu können, unbedingt selbst auch christlich orientiert sein müsse (Eberhard Spree).
Der Wert dieser Sammlung wird durch die gediegene Aufmachung und zahlreiche Abbildungen unterstrichen, kurz: Lektüre empfohlen.
Friedemann Kluge