Antonín Dvořák

Épiphanie op. 22

Nadège Rochat (Violoncello), Royal Scottish National Orchestra, Ltg. Benjamin Levy

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Ars Produktion
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 69

Alles eine Frage des Marketings? Einem bewährten Prinzip folgend werden Novitäten gern Seite an Seite mit bewährten Produkten präsentiert. Es wäre indes ungerecht, für die Werkauswahl der vorliegenden Produktion lediglich Marketing-Erwägungen verantwortlich zu machen. Dvořáks Cellokonzert ist wahrlich mehr als nur ein Ladenhüter! Und beim zweiten Werk – Épiphanie – handelt es sich keineswegs um eine Novität im engeren Sinn, sondern um ein 1923 entstandenes, hochspannendes Werk eines fast vergessenen Komponisten: André Caplet (1878-1925). Überdies ist das Spiel der exzellenten Solistin Nadège Rochat und des fein begleitenden Royal Scottish National Orchestra unter Leitung von Benjamin Levy getragen vom spürbaren Willen, ein originelles künstlerisches Konzept hörbar zu machen – in Caplets Épiphanie ebenso wie im Dvořák-Konzert, das hier nie klingt wie „noch“ ein Dvořák-Konzert!
Nadège Rochat, geboren 1991, studierte in ihrer Heimatstadt Genf, später in Köln und an der Royal Academy London. Sie konzertierte im Wiener Musikvereinssaal, in der Tonhalle Zürich, in Berlin und St. Petersburg, arbeitete mit Orchestern wie der Weimarer Staatskapelle und den Dortmunder Philharmonikern, entwickelte mit dem Gitarristen Raphael Aguirre ein Duo-Projekt und war Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes.
Ihre Dvořák-Lesart zeichnet sich aus durch hohe Ausdrucksintensität, pulsierende Energie und zugleich die Fähigkeit, alle lyrischen Teile frei, gleichsam improvisiert fließen zu lassen. Im Durchmessen dieser Polarität macht es sich die Solistin durchaus nicht leicht, insbesondere in der Eröffnungspassage des Finalsatzes und auch an einigen Stellen des ersten Satzes riskiert sie, in Überspannung – will sagen: Anflüge von Hektik – zu geraten, um jeglicher Gefahr der Behäbigkeit entgegenzuwirken. Insgesamt jedoch geht das Konzept auf, Nadège Rochat gelingt ein spannender, überdies technisch brillanter und von ungetrübter Tonschönheit geprägter Dvořák.
André Caplet, Weggenosse und enger Mitarbeiter Debussys, entwickelte in seinen letzten Lebensjahren eine starke Affinität zu religiöser Mystik. Eines der Werke, in denen Caplet nach künstlerischer Verarbeitung dieser Neigung strebte, ist Épiphanie d’après une Légende Éthiopienne: Zwei bewegte Sätze, „Cortège“ und „Danse“, umrahmen eine von geheimnisvollen Tambourinrhythmen untermalte, virtuose Kadenz des Soloinstruments. Hier ließ sich der Komponist inspirieren von traditioneller äthiopischer Musik zum Timkat-Fest, mit dem Jesu Taufe im Jordan und die Epiphanie gefeiert werden. Stilistisch bewegt sich Caplets Tonsprache im Spannungsfeld zwischen Impressionismus, Strawinsky, der Groupe des Six und zeigt zugleich bemerkenswerte Eigenständigkeit.
Für die gelungene Wiedererweckung dieses außergewöhnlichen Werks gebührt den Interpret:innen Dank, für ihren frischen Zugang zum „alten“ Dvořák ebenso. Eine überzeugende CD!
Gerhard Anders