Joy of Music

Entdeckungen aus dem Verlagsarchiv Schott

Virtuose und unterhaltsame Stücke für Violine / Violoncello und Klavier, hg. von Wolfgang Birtel / Beverley Ellis und Rainer Mohrs, Klavierauszug und Stimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott Music
erschienen in: das Orchester 12/2020 , Seite 66

Das muss ein Traumjob sein! Ins Archiv eines 250 Jahre bestehenden Musikverlags „hinunter“ steigen zu dürfen, um einige der dort lagernden Schätze wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Der in diesem Jahr unter dem Motto „Joy of Music“ runden Geburtstag feiernde Mainzer Schott-Verlag ermöglichte diese spannende Reise ins Archiv einer Hand voll Musiker und Musikwissenschaftler, die ihre „Ausgrabungen“ für einige der gängigen Kammermusikbesetzungen in gut dokumentierten und spannenden Sammelbänden präsentieren.
Wolfgang Birtel hat als Ergebnis seiner Tiefenschürfung 18 Stücke für Violine und Klavier zusammengestellt, die einen Bogen von unterhaltsamer Salonmusik bis hin zum virtuosen Schaustück schlagen. Beverley Ellis und Rainer Mohrs warten hingegen mit 14 Entdeckungen für Violoncello und Klavier auf, die aber ebenso Vergnügen und technische Herausforderung vereinen.
Der Schwerpunkt beider Bände liegt auf Werken, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts komponiert wurden; zu einer Zeit, in der der Verlag Schott längst zu den ganz Großen im Musikgeschäft gehörte und neben zahlreichen führenden Komponisten selbstverständlich auch viele der komponierenden Virtuosen unter Vertrag hatte. Sebastian Lee, Alfredo Piatti, Auguste-Joseph Franchomme oder François Servais sind auch heute noch Namen, die jeder Cellist kennt – ob aus dem Unterricht oder der Konzertpraxis. Den Geigern geht es mit Namen wie Gaetano Pugnani, Charles-Auguste de Bériot, Henryk Wieniawski oder Jenő Hubay ganz ähnlich.
Spannend ist die Auswahl an Virtuosenstücken auch hinsichtlich des musikalischen Ausgangsmaterials: Paraphrasen von Bizets Carmen, Humperdincks Hänsel und Gretel oder Rossinis Barbier von Sevilla erlauben gleichzeitig noch einen kleinen Überblick darüber, welche Opern man schon vor weit über 100 Jahren zum festen Repertoire zählen durfte. Spieltechnisch geht es in vielen der hier neu aufgelegten Werke richtig zur Sache – ganz so, wie man das vom 19. Jahrhundert erwartet. Brillante Läufe, Doppelgriffe, extreme Lagen und Tempo sind die Zutaten, die diese beiden Bände auch zur Fundgrube für neue Zugaben machen.
Romanzen, eine Barcarole, eine Berceuse oder ein Lamento geben hingegen Gelegenheit zur kammermusikalischen Entschleunigung und erlauben es auch Nicht-Virtuosen, an dieser musikalischen Geburtstagsentdeckungsreise teilzunehmen. Ein Vorarbeiten in Richtung höherer Virtuosität und größerer Brillanz wird gleichwohl durch genügend und in seinen Anforderungen gut abgestuftes Archivmaterial ermöglicht.
Natürlich wünschen wir den knapp drei Dutzend hier versammelten Kammermusik(wieder)entdeckungen viele Aufführungen in den kommenden Jahren, müssen aber auch zugeben, dass schon das Durchschauen der Jubiläumsbände einem kleinen musikalischen Vergnügen gleichkommt.
Daniel Knödler