Nies, Christel
Entdeckt und aufgeführt
Komponistinnen und ihr Werk IV
Das Buch ist der vierte Band einer Reihe, die seit 1992 eine Kasseler
Institution dokumentiert: eine Konzertreihe, die von Christel Nies nunmehr im 22. Jahr organisiert wird. Hervorgegangen aus der Feststellung, dass Komponistinnen und ihre Werke einer besonderen Förderung bedürfen, hat sie den Charakter einer feministischen Nische längst überwunden. Kompositionsaufträge an namhafte Komponistinnen, die Beteiligung so prominenter Interpreten wie das Arditti-Quartett und eine ausgefeilte Programmgestaltung haben dazu beigetragen, dass hier durchaus ein Stück zeitgenössischer Musikgeschichte geschrieben wurde und wird.
Der neue Band dokumentiert über 50 Konzerte, die in den Jahren 2003 bis 2010 in Kassel stattfanden, einschließlich zweier Festivals mit den Titeln Blickpunkt Rumänien 2004 und Blickpunkt Tschechien 2005. Die aufgeführte Musik die Komponisten keineswegs ausspart spannt sich von Hildegard von Bingen und Beatriz de Dia bis zur Avantgarde.
Neben bereits konventionellen Programmen etwa mit Werken von Robert und Clara Schumann oder Alter Musik stehen Porträtkonzerte (Rebecca Clarke, Fanny Mendelssohn-Hensel, Charlotte Seither, Ethel Smyth, Frangis Ali-Sade, Graz?yna Bacewicz, Ursula Mamlok, Elena Firsova und Wilhelmine von Bayreuth), aber auch reizvolle Kombinationen von Alter und Neuer Musik. Red Peppers: Ragtime-Frauen, Stella maris: Musik zur Marien- und Heiligenverehrung und Musik von und für Frauen, wozu auch ein Requiem für eine im 17. Jahrhundert als Hexe hingerichtete Frau zählte, sind Beispiele für aparte Programmgestaltungen. Auch Besetzungen waren titelgebend: Vier Hörner und eine Flöte, Stimme und Akkordeon, Stimme Percussion Kontrabass. Das Instrumentarium, das die Entdeckungen zum Klingen brachte, reichte von Bajan, Zymbal und Campanula bis zum präparierten Klavier, elektronisch verstärkter Blockflöte und Videofilm.
Die Programme werden ergänzt durch Informationen zu Komponisten und Komponistinnen, Interpreten und Interpretinnen sowie Werken und sie werden erweitert durch informative Texte, z.B. von Marcus Schwarz über die erstaunlich umfangreiche Produktivität von Ragtime-Komponistinnen, Vorträge der Rumänien- und Tschechien-Festivals und einleitende Gedanken über das Komponieren, verfasst von neun Komponistinnen. Hier wird wieder einmal deutlich, wie schwierig es ist, über Musik und über den Prozess ihrer Entstehung zu schreiben. Unbeholfenes reiht sich an Allgemeinplätze, aber auch an Mitteilungen, die dem Verständnis durchaus dienlich sein können. Ein Text von Thea Derks über die Schwierigkeit, Werke von Frauen in Rundfunkprogramme, Opernspielpläne und Festivals einzureihen, wirft die Frage auf, ob es bei den Entscheidungsträgern wirklich immer noch so viele Vorurteile und so wenige Kenntnisse über komponierende Frauen gibt. Das Buch von Christel Nies könnte da Abhilfe schaffen.
Freia Hoffmann


