Barbara Beuys

Emilie Mayer

Europas größte Komponistin. Eine Spurensuche

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Dittrich
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 66

Ihr Name geriet nahezu in Vergessenheit. Dabei würdigten Zeitgenossen Emilie Mayer zu ihren Lebzeiten als „weiblichen Beethoven“. Was aber nicht darüber hinwegtäuscht, dass sich die Komponistin ihre Anerkennung schwer verdienen musste in Zeiten, in denen Frauen dem damaligen Rollenverständnis nach vor allem heiraten und Kinder kriegen, das Komponieren aber den Männern überlassen sollten.
Dass erst jetzt eine Biografie über die 1812 im Mecklenburgischen Friedland geborene Tochter eines Apothekers vorliegt, mag die dünne Quellenlage erklären. Das bedeutendste Dokument, auf das sich die Historikerin Barbara Beuys in ihrer „Spurensuche“ stützen konnte, ist ihrer eigenen Aussage nach wohl die 1877 erschienene zweiteilige „Biographische Skizze“ der Schauspielerin Elisabeth Sangalli-Marr, die neben interessanten Fakten auch „hintergründige Türen“ zu Mayers Persönlichkeit öffne.
So wie sich die Autorin ausführlich mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund und dem musikalischen Umfeld ihrer Heldin beschäftigt, gelingen ihr jedenfalls trotz der dürftigen Primärliteratur recht präzise Einblicke in deren Leben. Beuys nimmt die damalige Gesellschaft unter die Lupe, skizziert Lebensläufe von anderen Komponistinnen der Romantik, taucht in die Biografie von Mayers wichtigstem Lehrer Carl Loewe ein, wirft Seitenblicke in die Berliner Salonkultur, zitiert aus zahlreichen Rezensionen und zieht immer wieder Querverbindungen zu anderen selbstbewussten Frauen, die – ihrer Zeit voraus – für die Emanzipation eintraten. Mag diese Biografie in den ersten Kapiteln auch etwas trocken daher kommen, so entfaltet sie mehr und mehr eine große Kraft.
Trotz patriarchalen Grundstrukturen hatten Frauen im westlichen Europa teils durchaus die Möglichkeit, ihre Talente außerhalb von Ehe und Mutterschaft auszuleben. Für Mayer kamen dabei verschiedene glückliche Umstände zusammen: Ihr Vater förderte ihr Talent und hinterließ ihr nach seinem Tod die nötigen finanziellen Mittel für eine entsprechende Ausbildung und Karriere. 1840 ging Mayer nach Stettin, um bei Carl Loewe zu studieren. Zu dem Zeitpunkt hatte die damals 28-Jährige bereits den Entschluss gefasst, Komponistin zu werden und der „bindenden Ehefessel“ zu entsagen. Auch mit ihrem Mentor Loewe hatte die junge Frau aus der Provinz großes Glück. Nach einer strengen Examinierung soll er sie mit den Worten, er werde ihr helfen, ihr „Talent zur schönsten Blume“ zu entfalten, unter seine Fittiche genommen haben.
Lieder, Sonaten, Streichquartette und Sinfonien komponierte Emilie Mayer unter der Anleitung ihres Lehrers, der sie schließlich für weitere Studien bei dem Musikwissenschaftler Adolph Marx empfahl. Insbesondere mit ihren Sinfonien erwarb sich die selbstbewusste Künstlerin mehr und mehr auch den Respekt der männlich dominierten Musikkritik. Das vielleicht größte Lob wurde ihr von Ludwig Rellstab zuteil, der ein Konzert im Königlichen Schauspielhaus Berlin 1850 in der Vossischen Zeitung als ein „unicum in der musikalischen Weltgeschichte“ bezeichnete.
Kirsten Liese