Monika Tibbe

„Emanzipation der Tat“ – Mary Wurm

Pianistin, Komponistin, Dirigentin, Musikschriftstellerin

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: BIS
erschienen in: das Orchester 02/2019 , Seite 61

Über Mary Wurm (1860-1938), eine aus England stammende Pianistin, Dirigentin und Komponistin, gibt es noch keine Monografie. Daher ist dieser erster Versuch durchaus willkommen. Monika Tibbe wählt dafür eine Zweiteilung, wobei sie auf den ersten 47 Seiten knapp zu Leben und Werk berichtet; im zweiten Teil befindet sich eine Dokumentation mit einigen kleineren Beiträgen Wurms sowie eine Zusammenstellung von Presseberichten.
Im ersten Teil bleibt Tibbe bei einer konventionellen Nacherzählung. Es war ein frühes Bestreben der Frauenforschung, die Musikgeschichtsschreibung zu ergänzen. Heute, einige Jahrzehnte später, wä­re es interessant, auf die spezifischen Rollenmuster und Identitäten, die damals den Frauen zur Verfügung standen, einzugehen und Wurms Widersprüche zu benennen.
Einerseits war sie die brave und schüchterne Schülerin der großen Clara Schumann, die sie durchgehend verehrte, andererseits kämpfte sie um Anerkennung für sich und andere Komponistinnen. So engagierte sie im November 1887 die Berliner Philharmoniker, um sich pianistisch vorzustellen und ihre Konzertouvertüre op. 19 selbst zu dirigieren, wobei sie ausschließlich eigene Werke ins Programm aufnahm, die ein Kollege leitete. Was das damals für Mut erforderte, kann man sich ausmalen. (Seltsamerweise erwähnt Tibbe diesen mutigen Schritt gar nicht.)
Mary Wurm war außerdem bestrebt, Musikerinnen ins kulturelle Gedächtnis einzugliedern, und schrieb Artikel, um diese bekannter zu machen. Mit der Gründung eines Frauen-Streichorchesters 1898 hoffte sie, für Instrumentalistinnen eine Verdienstquelle außerhalb der Unterhaltungscafés zu schaffen. Sie schrieb, komponierte und arbeitete gegen die systematische Ausklammerung von Komponistinnen an, allerdings weitgehend vergeblich.
Die im Dokumententeil präsentierten kurzen Aufsätze Mary Wurms tragen nicht sonderlich dazu bei, die Prozesse zu erforschen, die zu ihrem faktischen Ausschluss aus der Musikgeschichte führten, wobei sie immer wieder versucht hat, eine Spur zu hinterlassen – ob bei der Berliner Ausstellung Die Frau in Haus und Beruf, als Mitglied des Deutschen Lyceum-Clubs oder durch ihre Arbeit an einem Quellenlexikon zu Komponistinnen. Und schließlich arbeitete sie an einem Quellenlexikon der Tonsetzerinnen und Musikschriftstellerinnen aller Zeiten und Länder, das nie im Druck erschien, im Typoskript jedoch bereits 3000 Namen enthielt.
Eine CD-Beilage mit Werken Mary Wurms hätte das Verständnis für sie sicherlich gestützt; so muss man sich damit trösten, dass sie bei so bedeutenden Komponisten wie Charles Villiers Stanford, Arthur Sullivan, John Frederick Bridge, Carl Reinecke und Engelbert Humperdinck ausgebildet wurde. Die im Buch gesammelten Pressestimmen sind teilweise von echter Empathie, teilweise von misogyn-überheblichen Vorurteilen getragen, werden aber nicht kommentiert. Dennoch stellt das Buch einen ersten Schritt dar, um Mary Wurm kennenzulernen.
Eva Rieger