Mendelssohn Bartholdy, Felix

Elias

RIAS Kammerchor, Akademie für Alte Musik Berlin, Ltg. Hans-Christoph Rademann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Accentus Music ACC 30356
erschienen in: das Orchester 10/2016 , Seite 65

Die Wucht dieser Aufnahme er­schließt sich nicht beim ersten Hinhören. Zu sehr hat man vielleicht die Hits aus Mendelssohns Elias im Ohr, um dem Werk in seiner grandiosen Gesamtanlage gleich die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Und sicher irritiert auch das etwas mulmige, eher indirekte Klangbild. Doch hat man sich einmal eingehört, lässt einen die Aufzeichnung des letzten Konzerts von Hans-Christoph Rademann als Leiter des RIAS Kammerchors nicht mehr los. 2007 hatte er diesen Ausnahmechor übernommen und bis 2015 geleitet. Die Aufführung des Elias im Juli 2015 im Konzerthaus Berlin bleibt als denkwürdiges Ereignis in Erinnerung.
Der gebürtige Sachse Rademann gehört zu den großen Chordirigenten der Gegenwart. Er war Chordirektor des Norddeutschen Rundfunks und Leiter des Dresdner Kammerchors, seit 2013 leitet er die Bachakademie Stuttgart und arbeitet mit den besten Orchestern zusammen, sowohl historisch als auch modern instrumentiert. Hier tritt als bewährte Partnerin die Akademie für Alte Musik Berlin zum RIAS Kammerchor hinzu. Ihr gebührt jedenfalls die Hälfte des Lobes. Sie lässt es auf alten Instrumenten in den großen Chören blitzen und donnern, dabei immer schlank und markant. Sie spielt mit vibrierender Unruhe und setzt samtig-angeraute Ruhepunkte, die wie in kaum einer anderen Einspielung den Wunsch des Propheten Elias nach Seelenfrieden in Töne fassen. Selten war so viel elysische Innigkeit. Fern ist schwerblütiges Pathos.
Das 1846 in Birmingham uraufgeführte Oratorium steht mit seiner Dramatik in Händel’scher Tradition und bildet mit dem Messiah und Haydns Schöpfung ein oratorisches Triumvirat. Der erste Teil zeigt Elias als starken, kämpferischen Propheten, der ganz alttestamentarisch aufräumt mit den Feinden Israels. Höhepunkt ist hier die Beschwörung des lang ersehnten Regens. Im zweiten Abschnitt ist Elias gebeugt von Niederlagen und der Last des Lebens, bevor er auf dem Berg Horeb Gott begegnet und in einem feurigen Wagen gen Himmel geleitet wird.
Thomas Oliemans (Bariton) singt seinen Part als Prophet vom Ende her rund, ausgewogen und lyrisch besonnen, stellt Zorn und Wut nicht in den Vordergrund. Lioba Braun (Mezzosopran) agiert als Königin hingegen ausgesprochen theatralisch und vibratoreich, Marlis Petersen (Sopran) frisch und strahlend hell, Maximilian Schmitt (Tenor) wiederum zart und elegant.
Am meisten wandlungsfähig ist zweifellos der phänomenale RIAS Kammerchor, der vom hingehauchten Terzett „Hebe deine Augen auf“ bis zum geifernden Masseneinsatz „Wehe ihm, er muss sterben“ alle Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen weiß – makellos in der Intonation, chorisch geschlossen und flexibel wie ein Ensemble von Solisten. Lautmalerischer Höhepunkt mit allen Extremen der Dynamik: „Der Herr ging vorüber und ein starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging vor dem Herrn her, aber der Herr war nicht im Sturmwind.“
Johannes Killyen