Strauss, Richard
Elektra
Richard Strauss Elektra gehört zu den ungeheuerlichsten Werken, die je auf die Opernbühne gehoben wurden. Wie Strauss hier mit ausgefeilter motivischer Arbeit, frappierender Harmonik und Instrumentation den Weg seiner antiken und doch so modernen Heldin bis zur Raserei und Vernichtung schildert, das ist kaum je übertroffen worden. Die 1905 uraufgeführte Salome lässt Elektra (1909, Libretto: Hugo von Hofmannsthal) im kompromisslosen Einsatz aller Mittel deutlich hinter sich. Und hätte Strauss an dieser Stelle weiter gemacht, dann wäre er sicherlich zu einem Pionier der musikalischen Avantgarde geworden.
Die gewaltigen orchestralen und stimmlichen Anforderungen setzen der Präsenz des Werks auf den Spielplänen natürliche Grenzen. Deshalb erscheint es einigermaßen sinnvoll, die Elektra im konzertanten Rahmen in optimaler Ausleuchtung des Orchesters aufzunehmen, wie das Semyon Bychkov und das WDR Sinfonieorchester sowie der Rundfunkchor Köln gerade getan haben. Sinnvoll: mit der Einschränkung freilich, dass die bildlose Tonaufnahme einer Oper zwangsläufig ein Torso bleiben muss.
Die beim Label Profil in der Edition Günter Hänssler erschienene Aufnahme überzeugt durch eine großartige Orchesterleistung, eine hohe klangliche Transparenz, Dank derer die ungeheuren Abgründe der Partitur noch markanter hervor treten als etwa in der Liveeinspielung von Seiji Ozawa und dem Boston Symphony Orchestra. Semyon Bychkov, der das WDR Sinfonieorchester seit 1997/98 leitet und die Elektra schon in halb Europa dirigiert hat, behandelt sein Ensemble sinfonisch, lässt es offen und selbstbewusst aufspielen wie in einer der straussschen Tondichtungen. Und meistens bleibt dabei die heikle Balance zwischen Instrumental- und Gesangspersonal gewahrt.
Leider lässt sich viel mehr Positives über diese Aufnahme nicht sagen, und das fängt schon beim lieblos gestalteten Booklet an. Dort findet sich zwar ein Interview mit Semyon Bychkov, ansonsten sind aber keine Informationen zum Werk enthalten. Ebenso fehlen die Handlung und die Angabe der einzelnen Tracks die Besetzung steht nur auf der Hülle, nicht aber im Beiheft. Der Text ist schließlich nur mit einer Lupe gut zu lesen. Wer so nachlässig mit der Form umgeht, wird nur selten Gelegenheit erhalten, durch Inhalt zu überzeugen.
Auch bei den Sängern sind deutliche Abstriche zu machen: Deborah Polaski als Elektra und Felicity Palmer als Klytämnestra treten, beide deutlich über ihrem sängerischen Zenit, als große Wagner-Heroinen auf und lassen die von Strauss unbedingt geforderte Feinzeichnung, die Wandlungsfähigkeit in Stimme und Ausdruck vermissen. Wer hören will, wie packend und plastisch es klingen kann, wenn Elektra der Mutter Klytämnestra ihre Mordpläne offenbart, der mag zur schon erwähnten großartigen Ozawa-Aufnahme mit Hildegard Behrens und Christa Ludwig greifen. Auch Franz Grundheber tritt unter Bychkov als Orest stimmlich zwar überzeugend, doch zu gewichtig auf. Immerhin können Anne Schwanewilms als zart schmeichelnde Chrysothemis und Graham Clark in der Rolle des Aegisth überzeugen. Doch für einen Elektra-Experten wie Bychkov ist das zu wenig.
Johannes Killyen