Britten, Benjamin , Henri Dutilleux, Emilio de Cavalieri und anderen
Elbphilharmonie Orchester Das Eröffnungskonzert
NDR Elbphilharmonie Orchester, Ltg. Thomas Hengelbrock
Der Mythos Elbphilharmonie lebt. Die unübersehbare Landmarke im Hamburger Hafen, die lange vor ihrer Eröffnung als Groschengrab gigantischen Ausmaßes berühmt und berüchtigt wurde, ist auch nach dem Erweckungsereignis des 11. Januar 2017 eine Attraktion sondergleichen. Schon im Februar wurde der einmillionste Besucher auf der Plaza gezählt. So gut wie alle Stars und Orchester wollen hier auftreten, die phänomenale Akustik des Weinberg-Konzertsaals erkunden oder sich vom Gegenteil überzeugen. So gut wie alle Konzerte sind ruckzuck ausverkauft.
Da ist es nur nachvollziehbar, dass das Eröffnungskonzert, das selbst mit seinem bis zum letzten Augenblick geheim gehaltenen Programm die Spekulationen anheizte, nun als DVD vorliegt. Thomas Hengelbrock und sein NDR Elbphilharmonie Orchester in ganzer akustischer und optischer Pracht. Der Baukörper en gros & en détail einerseits als Videokunst-Projektionsfläche unter winterlichem Nachthimmel, andererseits in Nahaufnahmen von Musikern und Architektur. Das alles in einem fast zweistündigen Rausch aus Musik vom Barock bis heute. Mit Wolfgang Rihms Tenormotette Reminiszenz als Uraufführung vor Beethovens Ode an die Freude als krönendem Abschluss. Man sperrt Aug und Ohr auf ob solcher Pracht und solch intelligenter, ambitionierter Konzertdramaturgie. Hengelbrock beschwört die Geburt der Musik aus der Natur mit Brittens Oboenmonolog Pan, den er von der Empore ins Dunkel des Saalrundes tönen lässt, um Dutilleux Geheimnis des Augenblicks bruchlos hineinzuschneiden. Alsdann erhebt Countertenor-Star Philippe Jaroussky seine begnadete Stimme zu einer Cavalieri-Arie, die hinwiederum in Bernd Alois Zimmermanns Photoptosis für großes Orchester fadet. Und so fort. Der Hamburger Komponist Ralf Liebermann steuert ein Furioso bei, das seinen Namen wahrlich verdient, von Messiaen gibt es den zehnten Satz der Turangalîla-Sinfonie, Wagner (Parsifal-Vorspiel) fehlt ebenso wenig wie Beethovens Neunte, deren Schlusssatz Bryn Terfel eine fulminante Bassnote verleiht. Die Denker, die Gedanken, die Musik Hamburgs und der westlichen Welt vereint im Brennglas Elbphilharmonie. Leider enthält das (vorproduzierte?) Booklet dem interessierten Leser jede Information zu Rihms Auftragswerk vor, das der wohl angesagteste Opernkomponist unserer Tage auf Texte von Peter Huchel, Walter Muschg und Hans Henny Jahnn geschrieben hat, wobei Rihm Letzteren für den bedeutendsten Hamburger Schriftsteller hält. Erlesene Klänge, viel Text in der abenteuerlich großen Tenorpartie, die Pavol Breslik brillant beherrscht. Alles in allem ein hörens- und sehenswertes Stück vom Mythos, dem als Bonus-DVD eine Doku zu Hamburgs neuem Wahrzeichen beiliegt.
Armin Kaumanns


