Berger, Günter

El Roi-Impressionen

für gemischten Chor (SSAATTBB) a cappella, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2014
erschienen in: das Orchester 03/2015 , Seite 76

Mit El Roi hat der Komponist und Organist Günter Berger (geb. 1929) – lange Kantor an St. Marien in Delmenhorst, später Professor an der Bremer Hochschule für Künste – im Alter von 84 Jahren den Kompositionspreis des 12. Festivals „Zeitgenössische Geistliche Musik“ der Stadt Schwäbisch Gmünd gewonnen. Die Aufgabe war, eine Komposition zum Thema „Paradies“ für die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben zu schreiben, die das rund elfminütige Stück dann auch unter der Leitung von Rainer Johannes Homburg beim Eröffnungsgottesdienst des Festivals zur Uraufführung brachten. Am 4. Juni 2015 wird es beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart nochmals zu hören sein.
Der hebräische Begriff „El Roi“ im Titel bedeutet „Der Gott des Schauens“ oder „Der Gott, der mich sieht“. Er taucht an einer einzigen Stelle des Alten Testaments auf: Im 16. Kapitel des Ersten Buchs Mose benutzt ihn Hagar, die Magd Abrahams, die diesem den Sohn Ismael gebären wird. Da diese biblischen Gestalten den drei abrahamitischen Religionen gemeinsam sind, bedient sich Berger in seiner Komposition jüdischer und arabisch-persischer Modi und zitiert zudem das gregorianische Alleluja zur Osterzeit. Zur Erleichterung der Einstudierung hat er im Anhang eine Seite mit Übungen in den „fremden“ Tonsystemen beigefügt.
Mit Blick auf die religiös bestimmten Konflikte in der Welt, vor allem im Nahen Osten, hat diese Verbindung eine aktuelle symbolische Bedeutung. Inhaltlich geht es Berger im Kern um die Vision des alttestamentarischen Propheten Jesaja (Kapitel 11), die in der Lutherbibel unter die Überschrift „Der Messias und sein Friedensreich“ gefasst wird. Musikalisch wird sie eingeleitet durch die blitzartigen Fortissimo-Anrufungen „El Olam“ („Der ewige Gott“) und „El Roi“. Über einem leisen Bordun im Bass stellen stimmlose Konsonaten und stampfende Füße einen geräuschhaften Spannungzustand her, aus dem sich in den Männerstimmen über die markante Textzeile „Aus dem Baumstumpf Isais…“ mit der Fortsetzung „…wächst ein Reis“ eine erste Kantilene entwickelt. Sie führt schließlich in die berühmte Utopie, in der die Wölfe bei den Lämmern weiden und die Panther bei den Böcken. Berger vertont die Stelle mit gebotenem Ernst, aber auch mit Humor, wenn er in einzelnen Stimmen den Wolf jaulen, den Panther knurren und die Schafe blöken lässt.
Im weiteren Verlauf werden Passagen aus Jesaja, Kap. 35, und aus Gedichten des wie Berger im Oldenburger Land lebenden Autors Reinhard Rakow (geb. 1952) gesungen, rezitiert und gesprochen. Teils sind sie exakt notiert, teils werden sie frei artikuliert oder in aleatorischer Freiheit umgesetzt. Zahlreiche stimmliche Effekte verstärken Klanggewalt und Ausdrucksreichtum der sich bis ins Achtstimmige verästelnden Partitur. Doch immer wieder finden sich auch Ruhepunkte und Phasen behutsamer Zurücknahme. Über die Textzeile „Habt Mut, fürchtet euch nicht!“ mündet der Gesang mit der pointierten akkordischen Fortissmo-Anrufung „El Jon“ („Der Höchste“) in ein erneutes Gotteslob.
Andreas Hauff