Ruzicka, Peter

Einschreibung/Aulodie/”…Zurücknehmen…”

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Thorofon CTH2589
erschienen in: das Orchester 11/2012 , Seite 86

Die Vielseitigkeit von Peter Ruzicka lässt aufhorchen und imponiert. Als Dirigent, als Pädagoge, als Forscher interdisziplinär zwischen Musik- und Rechtswissenschaft, als Orchestermanager und Festivalleiter bringt er scheinbar Divergierendes zusammen. Und dann ist da der Komponist Ruzicka, etwa mit seinen Musiktheaterwerken Celan (1998/99) und Hölderlin (2005). Auf dem Feld der Kunst, insbesondere der Musik, wird indes Kreativität in Verbindung mit Tätigkeiten auf den Gebieten von Organisation, Theorie und Kritik stets zweiflerisch hinterfragt oder gar denunziatorisch verfolgt. Müsste nicht dieser Peter Ruzicka als Komponist noch weitaus anerkannter sein, viel häufiger aufgeführt und mit seinem Werk noch stärker ins Bewusstsein gerückt werden, als es der Fall ist?
Einschreibung von 2010, im Auftrag des NDR-Orchesters unter Christoph Eschenbach entstanden, wird im Untertitel als „Sechs Stücke für großes Orchester“ bezeichnet, doch tatsächlich fügen sich diese zu einem weit gespannten Bogen. Ruzicka verarbeitet hier „einen zweiten Blick auf musikalische Gestalten“, wie er sie erfahren habe in der Musik Gustav Mahlers, dem großen Einfluss neben Anton Webern. Solche Anklänge in Motiven aus wenigen Tönen, auf Chiffren kondensierte Spätromantik, fügen sich im ersten Stück neben Einsätzen von Zimbeln, Pauken, Celesta und Harfe zu klangsinnlichen Orchesterlandschaften. Expressive Streicherlinien und die Assoziation von Mahlers Revelge im zweiten Stück sind sehr bildhaft und werden im dritten von heftig perkussiver Aktion kontrastiert. Das lange, nur scheinbar ruhige Atmen, Raunen, Rauschen (von einem Zuspielband) verbirgt con morbidezza latente Gefahr, die sich offenbar im fünften Satz austobt: in abenteuerlichen Linien und laut fetzend. In turbulenten Gegensätzen wird der Geist von Mahlers Musik in unser neues Jahrhundert transponiert, was – trotz anderer Faktur – an den Ukrainer Valentin Silvestrov als Parallele denken lässt. Doch das ist natürlich die souveräne Individualität Peter Ruzickas.
Aulodie ist ein Konzert für Oboe, Ruzickas Studieninstrument. Der Komponist leitet selbst das Kammerorchester, vor dem Albrecht Mayer in sieben durchlaufenden „Szenen“ virtuos und ausdrucksstark agiert. Sinnvollerweise wird auf andere Bläser verzichtet, sodass die Oboe – auch in dem ihr eigenen Gesanglichen – gleichsam erzählend gegenüber Streichern, Schlagwerk, Harfe, Klavier und Celesta ideal zur Geltung kommt.
…Zurücknehmen… danach, im Untertitel „Erinnerung für großes Orchester“, wartet mit einer jener Benennungen auf, wie sie bei Ruzicka – et­wa mit „Entwürfe“, „Ansätze“, „Skizzen, …ins Offene… – nicht nur das Konzeptuelle, sondern auch das tief Geistige in den Fokus rücken. Die Wiener Philharmoniker unter  Christian Thielemann mögen bei dieser Aufnahme momentweise an Mahler gedacht haben. Nicht von  ungefähr…
Günter Buhles