Sinsch, Sandra
Einmal um die Welt
Und im Orchester in Neuseeland bleiben
Geigerin Caroline von Bismarck und ihr Ehemann, der Cellist Eliah Sakakushev-von Bismarck, sind das, was man als musikalische Weltbürger bezeichnen könnte. Der aus Bulgarien stammende Eliah hatte zunächst in Wien studiert, setzte seine Ausbildung dann in Mannheim und an der International Menuhin Music Academy Gstaad fort. Caroline startete als Jungstudentin am Berliner Julius-Stern-Institut für musikalische Nachwuchsförderung und absolvierte ihr Examen schließlich an der Berner Hochschule der Künste. Entscheidend war für das Ehepaar, langfristig im selben Orchester arbeiten zu können. Heute sind beide im Auckland Philharmonia Orchestra in Neuseeland tätig, vorläufige Endstation einer langen künstlerischen Reise rund um den Globus.
Ein Zufall des Lebens? “Es ist wohl eine Mischung aus bewusster Entscheidung und Zufall. Wobei es Teil meiner Lebensphilosophie ist, dass es eigentlich keine Zufälle gibt. Ich bin immer schon sehr offen für andere Kulturen, Sprachen und Gebräuche gewesen. Die Überlegung, in ein ausländisches Orchester zu gehen, war hauptsächlich durch die langwierige Probespiel-Mühle in Deutschland motiviert. Dadurch, dass die deutschen Orchester extrem viel Auswahl haben, erscheint es manchmal sinnvoll, sich im Ausland ‘nützlich zu machen’ und dabei mehr Anerkennung und Entfaltung zu bekommen”, sagt Eliah Sakakushev-von Bismarck.
Erste Station: Spanien
Seine erste Stelle hat Sakakushev-von Bismarck 2003 unmittelbar nach Studienabschluss als Solocellist beim Orquesta Filarmónica de Málaga in Spanien angetreten. Das Probespiel lief ähnlich ab wie in Deutschland. Über die Stelle hat er sich sehr gefreut. “Ich empfand den Gedanken, nach Spanien zu gehen, als eine kulturelle Bereicherung und ganz im positiven Sinne als etwas Abenteuerliches. Ich habe einen sonnigen und relativ entspannten Lebensstil erwartet. Das hat sich auch zum Teil bewahrheitet und es fiel mir nicht schwer, mich an die neuen Gegebenheiten anzupassen”, sagt Eliah.
Caroline zog wenige Monate später nach, nahm eine Position im gleichen Orchester an, wechselte aber ein Jahr später zum Orquesta de la Comunidad de Madrid (ORCAM), einem der Vorzeigeklangkörper des Landes, wo sie unter Dirigenten wie Fabio Biondi oder Rudolf Barschai spielte. In Bezug auf den Arbeitsalltag im Orchester blieben jedoch Wünsche offen. “Weniger erfüllt wurden meine Erwartungen bezüglich der Einstellungen der Kollegen zum Orchesterbetrieb, der persönlichen Hingabe, aber auch des Umgangs miteinander. Es war festzustellen, dass das Orchester nicht solide genug aufgebaut war, wobei Auswahlkriterien kaum ein Fundament hatten. Das Streben nach Qualität in musikalischer und menschlicher Hinsicht war nur in einem Lokalkontext von einheimischen Umgangs- und Denkformeln zu verstehen”, fasst Sakakushev-von Bismarck zusammen. Caroline von Bismarck ergänzt: “Ich habe die mediterrane Lebensweise Andalusiens geliebt, konnte dabei aber nicht die Tatsache ignorieren, in welch kleinem Ausmaß die klassische Kultur und Werte dort zur Geltung kamen.” Der kulturelle und gesellschaftliche Standort eines Orchesters ist beiden wichtig. In Spanien, wo beide das internationale Kammermusikfestival “Sefarad” gründeten und Caroline zusätzlich junge, begabte Streicher für die Aufnahmeprüfungen an deutschen und Schweizer Hochschulen vorbereitete, konnten und wollten sie diesen Mangel nicht mehr länger kompensieren.
Zweite Station: Brasilien
Diesmal lockte Übersee. Eliah Sakakushev-von Bismarck sandte vorab eine repräsentative Aufnahme an das Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo OSESP, das Sinfonieorchester des Staates São Paulo in Brasilien. Das Orchester lud ihn zu einem Probeprojekt ein und engagierte ihn schließlich als Solocellist. “Das Sinfonieorchester São Paulo ist mit Abstand das künstlerisch und administrativ am besten entwickelte Orchester, in dem ich gearbeitet habe”, fasst Sakakushev-von Bismarck zusammen. In Brasilien und Spanien ist der Orchesterdienst ähnlich konzipiert wie in Deutschland. Die Probenzeiten sind nach dem Prinzip der Wochendienste strukturiert und das Orchester zahlt Sozialabgaben wie Renten- und Krankenversicherung. Auch das dreizehnte Monatsgehalt ist in den beiden Ländern üblich. Bis 2012 zahlte das Orchester in Madrid sogar noch einen extra Sommerzuschlag. In Brasilien zahlen gesetzliche Arbeitsgeber, zu denen auch das Sinfonieorchester in São Paulo zählt, ein sogenanntes “Essensgeld”, das als Gehaltszuschlag berechnet wird. Von Dauer sollte diese Station jedoch nicht sein. “São Paulo ist die größte und reichste Stadt Brasiliens. Man nennt sie auch das New York Südamerikas. Hier war im Prinzip alles gegeben, doch die Rastlosigkeit dieser 18-Millionen-Metropole mit ihren krassen gesellschaftlichen Kontrasten und unübersichtlichem Verkehr war auf Dauer nichts für uns”, sagt das Ehepaar. Es folgte ein kurzes “Gastspiel” für Eliah in Deutschland, beim Philharmonischen Orchester Regensburg als Solocellist. Trotzdem lockte bald wieder die Ferne.
Dritte Station: Neuseeland
Diesmal sollte es ganz ans andere Ende der Welt gehen, beim Auckland Philharmonia Orchestra waren passende Stellen frei. Hier konnten die beiden ihre Vision, gemeinsam im selben Orchester tätig zu sein, auf Dauer verwirklichen. Nach Einsendung des obligatorischen Videos erfolgte die Einladung zu einem “Trial”, der sich in Australien und Neuseeland über mehrere Wochen hinziehen kann. Anschließend fand erneut ein Probespiel statt, dessen Bestehen in eine Probezeit mündete, deren Bestehen die Berufung absegnet.
So viele Neuanfänge setzen ein hohes Maß an Flexibilität voraus. Wie hat es das Ehepaar so schnell geschafft, sich an die jeweils unterschiedlichen Kulturen, Mentalitäten und Lebensformen anzupassen? “Die Anbindung an die einheimische Gesellschaft war schon immer eine wichtige Voraussetzung für uns, um im Ausland zu arbeiten. Anders als bei den Kollegen in den neuen Orchestern der arabischen Welt haben wir uns in Spanien, Brasilien und Neuseeland leicht und problemlos in die jeweiligen Gesellschaften integrieren können”, sagt Caroline von Bismarck.
In Auckland, wo beide seit 2011 tätig sind, haben sie jedoch ein von den anderen Ländern völlig verschiedenes Orchestersystem vorgefunden. Es ist das englische “Call System”, bei dem zusätzlich ein tägliches Basisgehalt ausbezahlt wird. “Das Orchester beschäftigt die Musiker als freie Mitarbeiter und zahlt dabei keine Sozialabgaben und Versicherungen. Das ist aus unserer Sicht zwar nicht optimal, es gleicht sich jedoch im System aus”, sagt Eliah Sakakushev-von Bismarck. Sozial abgesichert sind sie trotzdem, es gibt in Neuseeland gesetzlich freie Unfallbehandlung, Haftpflicht, Ersatzgeld bei Arbeitsunfähigkeit, und eine Basisrentenversicherung wird vom Staat bezahlt. Das Auckland Philharmonia Orchestra ist ein Kollektiv mit bedingt selbstständiger Verwaltung im Rahmen des Orchestermanagements. Zwar wird es von Regierung und Stadt unterstützt, muss jedoch einiges in Eigenleistung stemmen. Dementsprechend liest sich auch die Sponsorenliste, unterteilt in die Kategorien Platin, Gold, Silber und Bronze. “Für das Orchester ist es daher besonders wichtig, Rückhalt in der Regierung und der Region zu haben, um die Millionen-Metropole Auckland, die zugleich Neuseelands größte und reichste Stadt ist, besser bedienen zu können”, meint Sakakushev-von Bismarck. Dementsprechend breit gefächert sind auch die Aufgaben.
Zu den Konzerten, die meist live übertragen werden, gesellen sich Ballett- und Opernaufführungen. Ein regional angepasster Ableger von El Sistema (dem Jugendorchester-System Venezuelas), das den Namen Sistema Aotearoa trägt und sich in der musikalischen Bildung von Kindern und Jugendlichen engagiert, wurde erfolgreich auf den Weg gebracht. Darüber hinaus führt das Orchester ein beispiellos breit gefächertes Ausbildungsprogramm, das Orchestermusik an die Schulen und Schüler aller Altersstufen in den Konzertsaal bringt.
Das Ehepaar hat weit über den Orchesterdienst hinaus in der neuen Heimat Fuß gefasst, geht einer aktiven kammermusikalischen Tätigkeit nach und unterrichtet. Eliah ist derzeit Lehrbeauftragter an der Auckland University, Caroline ist Tutorin im Rahmen der Summer School des Auckland String Quartet.
Zukunft gestaltet man immer selbst
Auch hier wurden weder die Brücken zur alten Heimat noch zum Musikleben im Rest der Welt abgebrochen. Beide sind gefragte Kammermusiker, präsent auf Festivals von Sibirien bis zur New Yorker Carnegie Hall. Mit dem Internationalen Kammermusikfest Schloss Wonfort, das seit neun Jahren immer am ersten Juli-Wochenende auf dem gleichnamigen Familiensitz der von Bismarcks stattfindet, hat sich Caroline einen lang gehegten Traum erfüllt. “Ich bringe Musiker und Traditionen verschiedener Länder zusammen. So können wir mit Freunden aus Deutschland und dem Ausland in Kontakt bleiben und gleichzeitig mit gleichaltrigen Kollegen, die zum Teil führende Positionen in deutschen Orchestern bekleiden oder als Professoren an Hochschulen tätig sind, gemeinsam Kammermusik machen”, sagt sie. Die Programmatik profitiert dabei ebenso von der Weltgewandtheit des künstlerisch verantwortlichen Ehepaars wie von der Tradition. Denn in der privaten Atmosphäre des fränkischen Schlosses veranstaltet, tragen die Kammermusikkonzerte und literarischen Veranstaltungen des Bismarckschen Salons das Potenzial in sich, die seit einigen Jahrhunderten gepflegte Distanz zwischen Publikum und Künstlern aufzulösen und eine intensivere Beziehung aller Beteiligter untereinander entstehen zu lassen.
Nach vielen “Wanderjahren” sind Caroline und Eliah in Neuseeland vorerst angekommen. “Man kann es nirgendwo perfekt haben. Die Organisation und das Fundament des deutschen Orchestersystems sind schwer in anderen Ländern zu finden, wo vieles manchmal ‘unstabil’ und ‘unsicher’ erscheint. Dennoch ist alles eine Einstellungsfrage und sehr eng mit der jeweiligen Landesmentalität verbunden. Kompromisse muss man immer machen, egal an welchem Ort. Aber nun wollen wir erst einmal dort leben, wo wir sind. Unsere Zukunft ist überall dort so gut, wie wir sie gestalten”, zieht das Ehepaar von Bismarck sein Resümee.

