Frei, Marco

Eine Sinfonie für Tausende

Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gastierten im Vatikan

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 02/2008 , Seite 38

Für den Papst zu musizieren, ist nicht ungewöhnlich. Wenn aber ein Sonderzug für Pilger und Hörer eingerichtet wird, ist dies etwas Neues. Tatsächlich wurde das Papstkonzert von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR) ein Ereignis, wie es von einem europäischen Rundfunkensemble noch nicht geboten wurde.
„Seid umschlungen, Millionen.“ Millionen waren es dann doch nicht. Immerhin hatten sich aber über 7000 Menschen in der Aula Paolo VI. im Vatikan eingefunden, um der freudvollen Odenkulmination aus Beethovens 9. Symphonie entgegenzufiebern. Als sie dann kam, war die Wirkung kolossal: „Beim Choreinsatz lief mir ein Schauer über den Rücken“, bekennt Brigitta Guhl. Die Wolfratshauserin zählte zu den rund 2500 BR-Hörern und Pilgern, die beim Konzert für Papst Benedikt XVI. von Chor und Symphonieorchester des BR unter Mariss Jansons am 27. Oktober 2007 in Rom dabei waren. Insgesamt konzertierten 120 Musiker und 90 Sänger. Achtzig Techniker und BR-Mitarbeiter kümmerten sich um den reibungslosen Ablauf, drei TV-Studios zeichneten für die Live-Übertragung verantwortlich. Voraussichtlich im Februar soll eine DVD erscheinen, als Extra ist eine Dokumentation über das Pilgerprogramm und über dieses ungewöhnliche Hörerreisenkonzept vorgesehen.
Erste Gespräche mit dem Vatikan wurden bereits in den Jahren 2000 und 2001 geführt, damals war Joseph Ratzinger noch Kardinal. In einem Brief soll Benedikt XVI. betont haben, dass er die BR-Ensembles sehr gerne im Vatikan begrüßen würde. Dass der Papst ein besonderes Verhältnis zum BR-Symphonieorchester hat, stellte er in seiner Dankrede fest. Nicht zuletzt berichtete er von dem legendären Konzert des Orchesters 1989 in Berlin unter Leonard Bernstein, als die Mauer fiel und der Odentext in „Freiheit, schöner Götterfunken“ umgeändert wurde. BR-Solobratschist Jürgen Weber war damals dabei: „Ein vergleichbar erhebendes Gefühl wie jetzt beim Papstkonzert hatte ich nur 1989 beim Auftritt in Berlin zum Mauerfall.“
Ein bayerischer Papst, bayerische Ensembles, bayerische Pilger und Hörer – weißblauer geht’s nimmer. Allerdings gibt es einen kleinen Haken: Schneller waren die Münchner Philharmoniker und die Bamberger Symphoniker, außerdem konzertierte bereits das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR im Vatikan. „Macht nichts“, entgegnet BR-Hörfunkdirektor Johannes Grotzky. „Wir kommen mit Chor und gewaltigem Anhang, das soll uns mal einer nachmachen.“
In der Tat hat es ein Projekt dieser Art und Größenordnung von einem europäischen Rundfunkensemble noch nicht gegeben. Der Preis ist allerdings hoch: Zwischen 850000 und 900000 Euro soll das „Geschenk an den Papst“ gekostet haben. Dafür saßen daheim aber auch 270000 Zuschauer hinter den Bildschirmen, das entspricht einer stolzen Quote von 10,2 Prozent. Bundesweit waren es 570000 TV-Zuschauer, hier wurde ein Marktanteil von 2,7 Prozent erreicht – für ein Klassikkonzert ein beachtlicher Erfolg. Den pauschal reisenden BR-Hörer und Pilger kostete der Spaß im Doppelzimmer „weit außerhalb der Stadt“ rund 900 Euro pro Person.
„Es geht um die Sache“, meint Guhl. Noch dazu wurde ein umfangreiches Rahmenprogramm geboten. Also pilgerten Pilger durch die ewige Stadt, Promis promenierten, einer war Günther Beckstein. Dass Beckstein seine erste offizielle Auslandsreise als bayerischer Ministerpräsident mit dem großen Papstkonzert des BR verband, dürfen die BR-Ensembles zu Recht als Ehre deuten. Und tatsächlich: „Das ist mit das Schönste, was man als bayerischer Ministerpräsident erleben kann“, erklärte Beckstein. „Dies ist ein Orchester von Weltruf.“
Tückisch war das strenge Protokoll. „Der Einzige, der sich Freiheiten erlauben darf, ist der Papst“, berichtete Grotzky – was der Papst dann auch tat. So ließ er erst einmal das Publikum etwas warten. Endlich kam er: „Seine Persönlichkeit breitete sich in der riesigen Audienzhalle förmlich aus“, schwärmt Guhl. Die zweite Freiheit nahm sich der Papst nach dem Konzert, als er ungewöhnlich lange mit Musikern und Sängern sprach. Zudem gab es im Vorfeld auf Wunsch des Papstes eine Änderung. Weil Joseph Ratzinger nämlich Palestrinas Tu es Petrus besonders mag, wurde vor Beethovens Neunter diese Motette gestaltet – mit gewaltigen 48 Stimmen, damit sie in der großen Audienzhalle auch zu hören ist.
Wie BR-Chormanagerin Susanne Vongries verriet, habe sie von Papst-Bruder Georg Ratzinger im Sommer einen Brief erhalten, dass dies dem Papst ein Herzenswunsch sei. Alle hätten zugestimmt, Georg Ratzinger war in Rom auch dabei. Wie zu Hause muss er sich gefühlt haben, was ebenso einen unerwarteten Grund hatte: Denn insgesamt sangen sieben ehemalige Regensburger Domspatzen mit, unter ihnen BR-Chorvorstand Andreas Mogl. Als Regensburger Domkapellmeister war Georg Ratzinger von 1964 bis 1994 auch Chef des renommierten Vokalensembles. „Das war ein herzliches Wiedersehen“, so Mogl, was der Papst-Bruder bestätigte.
„Für uns alle ist das Papstkonzert ein sehr großes Ereignis“, bekannte Jansons. Natürlich habe er die Neunte von Beethoven schon häufig dirigiert, „aber im Vatikan – das ist eine unvergleichliche Atmosphäre.“ Dabei wirkt der riesige Raum eher unpersönlich, schwierig ist zudem die Akustik. Dennoch: „Es klingt viel besser, als ich es mir erwartet habe“, so Jansons. „Wir sind aber auch in München nicht zufrieden.“
Damit meinte er die derzeitigen Diskussionen in München rund um den möglichen neuen Konzertsaal im Marstall hinter dem Nationaltheater, der zugleich eine Heimat für das BR-Symphonieorchester werden soll. Ex-Finanzminister Kurt Faltlhauser und Edmund Stoiber hatten ihn stets propagiert. Wie war das noch mit dem „Orchester von Weltruf“, Herr Beckstein? „Ein Orchester von Weltruf braucht eine ebenbürtige Bühne“, so der Stoiber-Nachfolger. Er stehe dem Konzertsaal „wohlwollend“ gegenüber – was immer das heißen mag.