Clemens Hellsberg
Eine glückhafte Symbiose
Die Wiener Philharmoniker und die Salzburger Festspiele
Im Jahr 2020 feiern die Salzburger Festspiele ihr 100-jähriges Bestehen. Im Residenz-Verlag ist eine ganze Schriftenreihe geplant, die thematisch darauf hinführen soll. Das erste, komplett zweisprachige Buch (deutsch, englisch) von Clemens Hellsberg untersucht die enge Beziehung zwischen den Wiener Philharmonikern und dem Festival – von der Vorgeschichte bis zur Intendanz von Markus Hinterhäuser 2017.
Hellsberg, lange Jahre (1980–2016) Geiger, Orchesterarchivar und ‑vorstand der Wiener Philharmoniker, ist dicht dran an der Materie und veranschaulicht die gelegentlich abschweifende Abhandlung mit vielen Quellen, die mit Fußnoten versehen sind. Die Nähe zum Thema ist nicht immer von Vorteil, besonders wenn Hellsberg ab der Intendanz von Peter Ruzicka von einer neutralen Erzählposition in die Wir-Form des Orchestervorstands wechselt, dem er seit 1997 angehörte.
Ab dann wird auch inhaltlich seine Beschäftigung mit den Salzburger Festspielen zu einer subjektiven Angelegenheit. Dass im Ruzicka-Kapitel „Die Kraft des Geistes“ auch Hellsbergers Laudatio auf den von ihm verehrten Intendanten abgedruckt ist, verwundert genauso wie seine deutlich negative Bilanz der folgenden Jahre von Gerard Mortier, der nach der Ära Karajan dem Festival unbestritten wichtige künstlerische Impulse verlieh. Die im Vorwort versprochene „Bemühung um Objektivität“ ist hier nicht mehr zu spüren.
Ein vorgeschaltetes Kapitel des Historikers Robert Hoffmann mit dem Titel „Vom Mozartdenkmal zur Festspielgründung“ untersucht die historisch gewachsene Verbindung der 1842 gegründeten Wiener Philharmoniker mit Salzburg, die dort 1877 ihr allererstes Konzert außerhalb von Wien gaben. Auch zu den acht Salzburger Musikfesten (bis 1910) wurde das Orchester regelmäßig engagiert.
Zur Gründung der Salzburger Festspiele und den schwierigen Anfangsjahren liefert Hellsberg viel Detailwissen. Die kurze Glanzzeit unter Arturo Toscanini, der nicht nur Verdi-Opern durchsetzte („Kein Falstaff, kein Toscanini“), wird erhellend gestreift; die hochproblematische Geschichte des Orchesters in der NS-Zeit ist relativ knapp, aber ohne jede Beschönigung dargestellt. 48 Prozent NSDAP-Mitglieder und zahlreiche Propaganda-Auftritte zeigen die enge Verquickung mit dem Machtapparat. Im Karajan-Kapitel betont Hellsberg dessen Einsatz für die musikalische Moderne und das neue, am 26. Juli 1960 eröffnete Festspielhaus.
Auch die zahlreichen Machtkämpfe bleiben nicht unerwähnt. Die Intendanten Jürgen Flimm und Alexander Pereira werden kritisch betrachtet, Markus Hinterhäuser dagegen „überzeugte auf Anhieb mit einem ebenso klug strukturierten wie sensibel austarierten Gesamtprogramm“. Ein Bildteil in der Buchmitte mit Briefen von Dirigenten, alten Festivalplakaten und Inszenierungsfotos ergänzt den Überblick, der zu dem etwas holprig formulierten Schluss kommt: „Die Salzburger Festspiele sind ein Teil der Wiener Philharmoniker, die ihrerseits ein Teil der Identität der Festspiele sind.“
Georg Rudiger