Strauss, Richard

Eine Alpensinfonie/Salomes Tanz

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Orfeo C833111A
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 77

Im Œuvre von Richard Strauss nimmt seine Alpensinfonie einen nicht unangefochtenen Platz ein. Selbst unter dem Komponisten sehr zugetanen Musikfreunden ist das Urteil über das gewaltig dimensionierte Werk nicht einheitlich. Dass der Komponist selbst einmal davon sprach, „er habe einfach so komponieren wollen, wie eine Kuh Milch gibt“, wird gerne, die Selbstironie des Zitats unterschlagend, gegen die Alpensinfonie verwendet. In seiner konzentriert gehaltenen Einführung in die Sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss bei Bärenreiter hat Mathias Hansen die lange und verwickelte Entstehungsgeschichte des mit einer gewaltigen Orchesterbesetzung aufwartenden Werks beleuchtet. Dabei erläutert er, dass Strauss weder den Bezug zu Friedrich Nietzsche, ursprünglich hätte das Werk „Der Antichrist. Eine Alpensinfonie“ heißen sollen, noch den zu einer Künstlertragödie konsequent weiterverfolgt habe. Hansen konstatiert weiter, dass dem Werk im Gegensatz beispielsweise zu Also sprach Zarathustra ein wirklicher sinnstiftender musikalische Kerngedanke fehle.
Andris Nelsons hat sich von solchen Überlegungen nicht abhalten lassen, mit dem sehr engagierten City of Birmingham Symphony Orchestra ein beachtenswertes Plädoyer für die Alpensinfonie abzulegen. Nelsons,
seit 2008 Music Director in Birmingham, gehört zu den bedeutendsten Dirigenten der jüngeren Generation, der inzwischen bei nahezu allen renommierten Sinfonieorchestern als Gastdirigent gefragt ist. Im vergangenen Jahr debütierte er zudem erfolgreich mit Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen. Seine Affinität zu Strauss hat er schon mit einer von der Kritik sehr positiv aufgenommenen Einspielung des Heldenleben, ebenfalls mit dem Birmingham Symphony Orchestra, unterstrichen.
Im Vergleich mit Christian Thielemann, der mit den Wiener Philharmonikern die von der Orchesterqualität beste Einspielung der Alpensinfonie (Deutsche Grammophon CD 469518-2) vorgelegt hat, die von geradezu schmerzlicher Intensität ist, oder dem sehr analytischen Ansatz von David Zinman und dem zuverlässigen Tonhalle Orchester Zürich (Arte nova 74321927792) beschreitet Nelsons eine überzeugende Synthese aus Partiturdurchdringung, lustvollem Musizieren und Ausleuchten der (möglichen) philosophischen Hintergründe. Das gut disponierte Birminghamer Orchester folgt diesem Ansatz mit beachtlicher Ausdrucksvielfalt und Differenzierungsvermögen. Nur bei exponierten Bläser-Soli zeigt sich gelegentlich, dass das Orchester nicht ganz zur absoluten internationalen Spitze gehört. Auch bei interpretatorisch problematischen Abschnitten dieser Gebirgswanderung wie „Gewitter und Sturm, Abstieg“ gelingt es Nelsons, die musikalische Übersicht zu wahren. Der positive Eindruck der mit einem weiten dynamischen Spektrum in der Birmingham Symphony Hall mitgeschnittenen CD unterstreicht auch „Salomes Tanz“ aus der Salome, der rhythmisch packend und mit ansprechendem orientalischen Kolorit musiziert wird.
Walter Schneckenburger