Kurt Weill/Ogden Nash
Ein Hauch von Venus
Staatsoperette Dresden, Ltg. Peter Christian Feigel
„Broadway in Dresden“ steht auf der CD, aber das Orchester der Staatsoperette Dresden braust los wie die Kollegen der Sächsischen Staatskapelle bei Strauss’ Ägyptischer Helena. Mehrfach kracht ein das Erscheinen der Liebesgöttin begleitende Jingle in den New Yorker Alltag. Doch – wie auch anders bei Kurt Weill! – nimmt das musikalische Geschehen in dessen nach der Uraufführung 1943 mit 567 Vorstellungen größtem Musicalerfolg am Broadway eine überraschende Wendung.
Nach Leonard Bernsteins Wonderful Town war One Touch Of Venus im Kraftwerk Mitte eine weitere Hommage an das ältere amerikanische Musical – und wieder in deutscher Sprache (Übersetzung: Roman Hinze). Ein „geiles“ Stück für die Übergabe des Intendanz-Zepters von Wolfgang Schaller an Kathrin Kondaurow, die nach und nach jene Inszenierungen, die vormoderne Geschlechterrollen betonieren, aus dem Spielplan verbannen will. Aber mit gendernormativem Schubladen kommt man einer echten Liebesgöttin nicht bei. Denn Weills Venus will selbstbestimmtes Vollweib sein, darf das in der von Doppelmoral und Spießigkeit geprägten Stadtbevölkerung Manhattans aber nicht. Aus der verschwindet Venus lieber, als ihr ein Albtraum den bevorstehenden Vorort-Mief mit Grillabenden, Abwasch und Kleinwagen in die Ohren dröhnt. Johanna Spantzel ist ein noch größeres Wunder als die von einem tollen Ensemble-Geist beflügelte Einspielung: Die Dialoge sitzen, haben Spannung und Esprit und sie gleiten idealtypisch in die Songs oder entspringen diesen. Spantzel mimt nichts weniger als eine kapriziöse oder coole Diva auf dem Eisberg wie die zuerst als Uraufführungsbesetzung vorgesehene Marlene Dietrich. Sie verkörpert einen idealen Frauentyp, dem das Verführen und Kokettieren und Lieben und Begehren und geschlechtliche Vereinigen eine Freude ist, aber nicht Zwang durch patriarchale Unterdrückung. Ihr Gegenüber: Jannik Harneit als Friseur Rodney, der mit diesem Wunder an Frau ebenso wenig umgehen kann wie Elsa von Brabant mit Lohengrin. Unheimlich sympathisch agiert Harneit – etwas verspielt und etwas verpeilt. Deshalb kann es nur musikalisches Konzept sein, wenn Peter Christian Feigel bei aller weillaffinen Brillanz in dem betörenden „Sprich leis“ doch nicht zu diesem in den Eingeweiden vibrierenden Groove vordringt, den dieser Song haben könnte. Das Stil- und Sujet-Chamäleon Weill zeigt sich hier von seiner subtilen Seite und deshalb braucht es nicht nur Genre-Kenntnisse, sondern auch Sensibilität für die feinen Knicke der musikalischen Topografie. Diese hört man. Dazu sind alle Figuren haarscharf getroffen, aber nicht flach. Volle Fahrt voraus von Christian Grygas und Winnie Böwe. Auch der Chor hat und macht Spaß (geleitet von Thomas Runge). Vorsicht dennoch: Für plakative Gender-Diskurse ist dieser Weill zu anspruchsvoll. Denn der Spaß hört dann auf, wenn eine echte Liebesgöttin zwischen Museum und Psychiater-Couch unnötigerweise Zeit verliert. Dieses Desaster ist für Hörer allerdings ein großes Vergnügen.
Roland Dippel