Werke von Gottfried Herrmann, Max Bruch, Carl Schroeder und Franz Liszt

„Ein großes Wunder”

Loh-Orchester Sondershausen, Ltg. Markus L. Frank

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sunrock SUN 712 066-2
erschienen in: das Orchester 12/2016 , Seite 65

Dass es falsch ist, in Sachen Musik auf die sogenannte Provinz herabzuschauen, dafür gibt es in vielen Regionen gute und erstaunliche Beispiele. So kann das Loh-Orchester im thüringischen Sondershausen eine solche Geschichte dokumentieren mit einer CD und in deren Titel ein Lob des großen Franz Liszt zitieren, der die Hofkapelle „ein großes Wunder, eingesperrt in einer kleinen Stadt“ nannte. Liszt war in Sondershausen ein gern gesehener Gast und war sowohl zur Aufführung seiner Symphonischen Dichtung Hamlet 1876 als auch zur Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 1886 angereist. Ein anderer bedeutender Komponist, Max Bruch, arbeitete schon ab 1867 drei Jahre als Kapellmeister in Sondershausen. Damit ergibt sich eine Parallele zu einer anderen Hofkapelle in Thüringen, nämlich der Meininger, die Brahms, Strauss und Reger als prägende Figuren erlebt hat.
Indem das Loh-Orchester unter seinem Dirigenten Markus L. Frank bei der Auswahl der Stücke ganz auf die eigene Geschichte zurückgreift, entsteht alles andere als eine uninteressante Mischung, sondern ein opulentes Streiflicht auf die Orchestermusik der Spätromantik jenseits der scheinbar allein wichtigen Metropole Wien. Dabei ist der Rückgriff auf lokale Aspekte wie die Verarbeitung eines Wiegenlieds der komponierenden Fürstin Mathilde, der Schwiegertochter des von 1805 an die Vergrößerung des hofeigenen Ensemble betreibenden Fürsten Günther Friedrich Carl I., durch Gottfried Herrmann zu nennen. Herrmann (1808-1878), Schüler von Louis Spohr und Kapellmeister von 1844 bis 1852, verwendete das Lied als Thema einer lyrischen, atmosphärisch dichten Ouvertüre, die mit trefflichen Bläsersoli aufwartet und Beethoven als großes Vorbild vermuten lässt. Ein anderer Kapellmeister der Hofkapelle, der aus Quedlinburg stammende von 1890 bis 1907 wirkende Carl Schroeder (1848-1935), ist auf der CD vertreten mit Tanzspuk – Mitternächtlicher Reigen für Orchester op. 61. Nach vier Glockenschlägen beginnt der Tanz zunächst sehr elegant und dezent, entwickelt sich weiter in dynamisch gesteigerten Wellen, um dann auch mehr Fahrt aufzunehmen. Alle Gruppen des Loh-
Orchesters finden Gelegenheit, sich auszuzeichnen, nicht zuletzt auch die Schlagwerker. Das spätromantisch getönte Stück hat eindeutig humorvolle Untertöne und klingt so nach dem Ein-Uhr-Schlag wie in sanftem Schlummer aus.
Ganz anderen Charakters ist Max Bruchs 1880 komponiertes Kol Nidre nach der Formel zum jüdischen Abendgebet am Versöhnungstag Jom Kippur. Sebastian Hennemann, Solocellist des Orchesters, bettet die weihevollen Linien seines Parts sensibel in den Ensemblerahmen ein. In Bruchs berühmtem ersten Violinkonzert, das er in Sondershausen vollendete, kann sich die Geigerin Sophie Wang im Finale Allegro energico als Einzelsatz virtuos bewähren. Viel Sinn für Dramaturgie und beträchtlichen Glanz bietet das Loh-Orchester in Franz Liszts oben erwähnter Tondichtung Hamlet als umfangreichstem Werk der CD.
Günter Buhles