Lütkenhöner, Hannah

Eduard Lassens Musik zu Goethes “Faust”

Studien zu Konzeption, zu den Bühnenfassungen und zur Rezeption; Reihe "Musik und Theater", hg. von Detlef Altenberg, Bd. 10

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Studio Punkt Verlag, Sinzig 2015
erschienen in: das Orchester 11/2015 , Seite 72

Faust – bis in unsere Tage stellt Goethes Drama, namentlich sein zweiter Teil, eine Herausforderung dar sowohl für Regisseure auf der Schauspielbühne als auch für Vertreter anderer Künste, die sich mit dem einzigartigen Stoff auseinandersetzen wollen. Und das war wohl nie anders im Laufe der Rezeptionsgeschichte.
Schauspielmusiken – viele denken hier zunächst an Felix Mendelssohn Bartholdys Musik zu William Shakespeares Ein Sommernachtstraum oder Ludwig van Beethovens Auseinandersetzung mit Johann Wolfgang von Goethes Egmont. Beide haben sich längst von jenem nicht unbedingt positiven Image der funktionalen Musik gelöst, das die Musikwissenschaft über Jahrzehnte entwickelt hat. Dennoch: Das 19. Jahrhundert kannte zahllose bemerkenswerte funktionale Musikwerke. Dazu gehört mit Sicherheit Eduard Lassens Musik zu Goethes Faust – entstanden zu der legendären ersten tatsächlichen Inszenierung beider Faust-Teile durch Otto Devrient 1876 im Weimarer Hoftheater.
Lassen war damals Hofkapellmeister in Weimar. Er war erfolgreich und hoch geschätzt. Und gerade seine Faust-Musik war über die Weimarer Inszenierung hinaus bis ins 20. Jahrhundert hinein erfolgreich. Das Konzept dieser Musik gilt als bis dahin einzigartig. Hier wird beschrieben, wie es sich gleichermaßen abhängig als auch unabhängig vom szenischen Geschehen machte.
Dem geht eine ungewöhnliche musikwissenschaftliche Publikation auf den Grund, die sich sowohl auf entscheidende Quellenfunde als auch auf bemerkenswert reflektierte Analyseansätze stützen kann, die ihre Überlegungen aber vor allem geschickt ins Verhältnis setzt zu neueren Erkenntnissen der Theaterwissenschaft. Einen faszinierenden interdisziplinären kunstwissenschaftlichen Ansatz hat dieser Band zu bieten!
Hervorgegangen aus einer musikwissenschaftlichen Masterarbeit an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar gewährt Hannah Lütkenhöners Buch Einblicke in eine interessante musikalische Werkstatt, aber auch in einen bemerkenswert anderen Kunstmarkt. Die Autorin vermag es, in ihrem Text das Werk aus seinem Kontext heraus zu erklären, ohne es in seiner eigentlichen musikhistorischen Bedeutung überzubewerten oder gar unnötig zu glorifizieren. Es wird deutlich, welche Rolle Schauspielmusikwerke zu Lassens Zeiten spielten, wie sie generiert wurden und dabei auch, warum so verhältnismäßig wenige von ihnen ins Bewusstsein der Musikgeschichte gelangten. Die Autorin rekonstruiert drei entscheidende Inszenierungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere hinsichtlich ihres Musikgebrauchs. Damit liefert sie aber auch Erklärungen für den zeitweise erfolgreichen Einzug des gesamten Faust ins Repertoire.
Tatjana Böhme-Mehner