Werke von Ludwig van Beethoven und Friedrich Cerha

Edition Gewandhausorchester Vol. 4

Lea Piltti (Sopran), Charlotte Wolf- Matthäus (Alt), Heinz Matthéi (Tenor), Josef Greindl (Bass), Gewandhauschor Leipzig, Chor des Reichssenders Leipzig, Gewandhausorchester Leipzig, Ltg. Hermann Abendroth/Riccardo Chailly

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Querstand VKJK 1317
erschienen in: das Orchester 10/2015 , Seite 73

Die vierte Zeitreise in die Geschichte des Gewandhausorchesters Leipzig hat den Rundfunk als Musikproduzenten und Zeitzeugen als Ziel. Sie führt zurück an Orte wie das Neue Gewandhaus und den Concordia-Festsaal, der dem Orchester nach der Bombardierung Leipzigs als Studio zur Verfügung stand; sie führt zurück in die 1930er und 1940er Jahre, und sie führt ins 1981 neu erbaute Haus am Leipziger Augustusplatz und ins Jahr 2011. Dreimal nähert sich diese Reise Ludwig van Beethoven, und dreimal demonstriert sie verschiedene Arten der Tonaufzeichnung – Freunde des Musikmuseums ziehen großen Gewinn aus dieser künstlerischen und tontechnischen Hinterlassenschaft, und HiFi-Fans haben in den letzten zwölf Minuten weiterreichenden Genuss.
Die 9. Symphonie Beethovens zur Silvesterfeier im Gewandhaus: Das ist bis heute Tradition. 1918 wurde sie begründet, als das Allgemeine Deutsche Arbeiter-Bildungsinstitut zu einer „Friedens- und Freiheitsfeier“ in die Alberthalle des Krystallpalastes eingeladen hatte und  Gewandhauskapellmeister Arthur Nikisch am Pult stand. 21 Jahre später, zur „Neujahrsfeier des Großdeutschen Rundfunks“, strahlte der Reichssender Leipzig als „Gebende Rundfunkanstalt“ um 23.30 Uhr den Schlusssatz der Neunten aus dem Großen Saal des Gewandhauses aus. Die Ode an die Freude am Ende des ersten Kriegsjahrs: ein Lichtblick, eine Hoffung? Es war zumindest ein Kontrast im Propaganda-Programm.
Und ein musikalisches Ereignis ersten Ranges, das dem Gewandhauskapellmeister Hermann Abendroth und seinem Spitzenorchester, den großartigen Solisten und den Chören zu verdanken war. Ein Ereignis auch, das dem Sender derart bedeutsam und erhaltenswert erschien, dass das Konzert mittels Plattenschneider in Wachs-Matrizen eingraviert, auf sieben Schelllackplatten gepresst und so für die Nachwelt verewigt worden ist. Diese ferne Klangwelt lebt jetzt ebenso anrührend wieder auf wie das Mitternachts-Geläut der Deutschen Glocke am Rhein aus dem Kölner Dom, das der Musik folgte.
Ab 1942 lösten Tonbandgeräte die Plattenschneider ab; sie verbesserten nicht nur die Aufnahmequalität, sie erlaubten auch längere Aufzeichnungszeiten. Ein Beispiel für den so verfeinerten Radioklang liefert die Aufnahme von Beethovens 8. Symphonie unter Abendroth im Gohliser Festsaal, die am 27. Dezember 1944 vom Deutschlandsender in der Reihe „Musik zur Dämmerstunde“ ausgestrahlt wurde: hell, dynamisch und energiegeladen.
Die digitale Aufzeichnung von Friedrich Cerhas Paraphrase über den Anfang der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven – mit Riccardo Chailly 2011 im Neuen Gewandhaus – ergänzt die historischen Beethoven-Aufnahmen durch ein „Glanzstück“, das aus dem Material und der Orchesterbesetzung des Originals klanglich reizvoll und fantasiereich viele neue Facetten gewinnt. Und so wird dank der Tondokumente und dank eines attraktiven Booklets mit zahlreichen Texten, Bildern und mit allen Biografien auch diese Geschichtsexkursion zu einem außergewöhnlichen und eindrucksvollen Erlebnis.
Eberhard Kneipel