Theodorakis, Mikis

East of the Aegean

Suite for Violoncello and Piano

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 62

Wie vertont man ein Meer? Indem man seine Realität übersteigt, seinen Charakter klingen lässt, „meerhafter“, als das Meer selbst zu klingen imstande wäre. Auf diese Weise zeichnet Mikis Theodorakis die östliche Ägäis nach: nicht klangmalerisch, sondern in lyrischen Bildern und Melodien voll euphorischem Sehnen. Manches Mal erinnert das an Debussys atmosphärische Momentaufnahmen, aber Theodorakis verlässt sich im Gegensatz zu dem Impressionisten auf die Aussagekraft einfacher Melodiebewegungen – seine Musik dieser späten Schaffensperiode ist klar, reduziert und orientiert sich am liedhaften Aufbau der Volksmusik der östlichen Ägäis.
Die unprätentiöse und direkte Verwendung von Melodien macht East of the Aegean für Cello und Klavier zu einem schlichtweg wunderbaren Stück, nicht nur musikalisch, sondern auch für den Cellounterricht. Die acht Sätze der Suite lassen sich auf dem Cello problemlos vom Blatt spielen und beinhalten kaum Hürden, die das Stück für den Anfängerunterricht ungeeignet werden ließen. Die Cellostimme bewegt sich fast ausschließlich in den unteren drei Lagen, als höchster Ton erscheint das zweigestrichene C nur sporadisch. Dass diese Musik tiefgründig und anspruchsvoll ist und ohne Umschweife ins Herz geht, macht sie zum idealen Programm für Anfänger und zum Blattspielgenuss für fortgeschrittene Cellisten und Pianisten.
Von East of the Aegean liegt bisher eine sehr empfehlenswerte Aufnahme von Henning Schmiedt (Cello) und Jens Naumilkat (Klavier) bei Wergo in einer Bearbeitung des Cellisten vor. Das Arrangement schafft den Instrumenten etwas größeren Entfaltungsraum, ist verspielter und schwieriger als Theodorakis’ Originalversion. Die bei Schott erschienene ursprüngliche Fassung ist hingegen dichter gesetzt, verwendet einen kleineren Ambitus und weniger solistische Passagen, steht also stärker in der Tradition von Volksliedern. Das Stück besteht aus 21 farbenreichen Klang­bildern, die allegorische Titel tragen wie „The Footprints of the Sun“ oder „As Long as the Sea Lasts“. Diese Momentaufnahmen verbindet Theodorakis zu einer Suite, deren acht Sätze dann jeweils unterschiedlichen Stimmungen, Pulsen und poetischen Ideen gewidmet sind.
Die Entstehung von East of the Aegean beschreibt der Komponist in einem knappen Vorwort als Rückkehr zum Lyrismus seiner allerersten kompositorischen Gehversuche und als Erinnerung an seine Jugend und Kindheit und findet dabei Worte, die die Qualität dieser Suite genauer kaum treffen könnten:„Damals, als die Liebe, beherrschend und mysteriös, uns bis in jede Faser elektrisierte. Damals, als das Blau des Meeres, das Azur des Himmels und das Grün der Bäume in uns unbegrenzte Ausmaße annahmen, die uns mit jenem süßen Schmerz erfüllten, der unsere Jugend so sehr verschönerte.“
Vera Salm