Werke von Hildegard von Bingen, Francesco Gasparini, Johann Sebastian Bach und anderen

Early Music Bird

Maria Weiss (Mezzosopran), Wolfgang Mitterer (Komposition & Electronics), Luca Pianca (Laute), 1607. Ensemble für Alte & Neue Musik

Rubrik: CDs
Verlag/Label: 1607 Records
erschienen in: das Orchester 01/2023 , Seite 71

Manchmal passiert es, dass eine Idee sich festsetzt, die auf den ersten Blick ja ganz brauch- und tragbar erscheint, aber die sich dann doch als nicht ganz so genial erweist wie gehofft. Ähnliches scheint auch bei dieser CD Aufnahme des „1607. Ensemble für Alte & Neue Musik“ passiert zu sein. Zwar ist es auf den ersten Blick ja ganz reizvoll, eine ganze CD mit Huldigung an den Morgen zu gestalten, aber beim Hören spürt man doch eine gewisse Beliebigkeit. Es fehlt der tragende Gedanke über die gesamte gute Stunde der Aufnahmen.
Keine Frage, alle 13 Tracks sind wunderbar gemacht, die Aufnahmen klar und durchhörbar, die Interpretation makellos, ja sogar ausgesprochen schön. Maria Weiss zeigt eine wandelbare und anpassungsfähige Stimme, trifft den richtigen barocken Tonfall. Und, wo es nötig ist, ist sie weich und anschmiegsam im A-cappella-Gesang. Wie in einem Kaleidoskop kann man Splitter von erstaunlicher Schönheit bewundern, aber alle bunten Facetten finden nicht zum Gesamtbild zusammen. Und so habe ich das Gefühl, einer Fülle von musikalischen Kalendersprüchen ausgesetzt zu sein, die alle irgendwie passen (also den frühen Morgen besingen), aber doch nicht durch den Tag tragen.
Wenn Hildegard von Bingens Columba Aspexit, die Sequenz an den Heiligen Maximin vor der Bach-Arie Ei! wie schmeckt der Kaffee süße aus der Kaffeekantate erklingt, wenn Johann Philipp Krieger die Einsamkeit besingen lässt und dann Teile barocker Opern von Gasparini, Rameau und Händel nebeneinander stehen, dann spürt man doch, dass schöne Blitzlichter alleine nicht unbedingt auch ein ausgewogenes Ganzes geben. Dazu reichen die wenigen Minuten barocker Herrlichkeit – auch noch aus dem Zusammenhang gerissen – einfach nicht aus. Die zwei elektronisch-modernen Morgengesänge von Wolfgang Mitterer bringen da auch nicht mehr Farbe ins Bild. Der Mangel an Inspiration und Gestaltung ist einfach nicht zu überhören, obwohl das Ensemble an musikalischer Qualität im Einzelnen keine Wünsche offen lässt. Vor allem Luca Pianca an der Laute zeigt, wie der Generalbass gestaltet werden kann und sollte. Chapeau!
Im Gegensatz zum Konzept ist das Booklet, hier zum prächtigen Buch angewachsen, umso gelungener. Es lädt weitaus mehr zum Schmökern am Frühstückstisch ein als jede Morgenzeitung. Liebevoll illustriert, schön gebun­den und mit extrem guten und lesenswerten Texten ist es ein wahres Juwel.
Fazit: Wer einzelne Tracks und kleine Höhepunkte mag, der sollte hier zugreifen und den Moment genießen, wer aber nicht durch die Tracks hüpfen möchte, der kann ja immer noch das Buch in Stille genießen – und das nicht nur am Morgen.
Markus Roschinski