Helmut Loos

E-Musik – Kunstreligion der Moderne

Beethoven und andere Götter

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 01/2018 , Seite 61

Eine am Stück geschriebene Darstellung ist dieser circa 150 Seiten Inhalt umfassende Band nicht, sondern eine Sammlung, in welcher der Musikwissenschaftler Helmut Loos mehrere Artikel vereinigt hat, die bereits einzeln publiziert wurden, freilich an oft entlegener Stelle. Die zusammenfassende Wiederveröffentlichung der neun Einzeltexte hat ihren guten Sinn: bildet doch das Nachdenken über die „Ernste Musik“ als „Kunstreligion der Moderne“ den tragenden Grundgedanken, der in den einzelnen Beiträgen lediglich verschieden entfaltet wird. Gewisse inhaltliche Berührungen oder Überschneidungen sind dabei unvermeidlich und wohl auch billigend in Kauf genommen, quasi als Bekräftigung der vertretenen Thesen. Die primär wissenschaftliche Zweckbestimmung der Texte ist offensichtlich: Sie spiegelt sich in
einem oft umfangreichen Fußnoten-Apparat wider.Um Aufstieg und heutigen Verfall der bürgerlichen Musikkultur geht es in dieser sozialgeschichtlich orientierten Aufsatzsammlung. Gezeigt wird, wie von Zentralbegriffen der Aufklärung wie Autonomie, Rationalität und Säkularisierung aus ein emphatischer Musikbegriff entsteht, in welchem die Kunst zum Religionsersatz wird, mit der alles überwölbenden Idee der „absoluten Musik“. Zugleich setzt im „Projekt der Moderne“ unter dem treibenden Impuls des Fortschrittsbegriffs ein erst hegelianisch geprägtes, später darwinistisch überformtes Entwicklungsdenken ein, das Loos noch bis in die 1970er Jahre als leitend in der deutschen Musikwissenschaft ausmacht.Ihre Personifikation findet diese Musikanschauung des bürgerlichen Zeitalters im nahezu vergöttlichten Beethoven, dessen Name denn auch gleich in vier Artikelüberschriften erscheint: „Beethoven und der Fortschrittsgedanke“ heißt es da etwa, oder es wird gezielt „Das Beethoven-Jahr 1970“ mit seinen Kongressen und sonstigen Feier-Aktivitäten untersucht. Weniger
die Musik selbst als deren Rezeption steht also im Mittelpunkt der Ausführungen, und vor allem sucht Loos die Auseinandersetzung mit der Forschung: Er geht auf überaus kritische Distanz zu prägenden Gestalten wie Theodor W. Adorno oder Carl Dahlhaus, während er im Gegenzug dazu eine Ehrenrettung von Randfiguren des akademischen Betriebs wie des Beethoven-Forschers Arnold Schmitz unternimmt.Etwas lockerer mit den übrigen Beiträgen verbunden sind die beiden letzten Artikel, die man auch als Exemplifizierungen verstehen kann: Der eine entdeckt hinter dem gezielt eingesetzten Ausdrucksmittel der Tonalität in Alban Bergs Wozzeck eine religiöse Grundierung, der andere wendet sich der Darstellung und Interpretation der Prometheus-Figur in der Musik zu.Fazit: Eine leichte Lektüre ist dieser Sammelband nicht, zumal wenn der Leser allen Fußnoten-Ver­ästelungen folgen möchte. Doch lohnend ist diese Lektüre allemal.
Gerhard Dietel

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