Kim, Roman

Drei Romanzen

für Violine und Klavier, Partitur und Stimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 65

Die Geschichte beginnt im Internet: 2012 hat Roman Kim seine Romanze B-Dur auf der Plattform YouTube vorgestellt und sich damit rasch eine Fangemeinde erobert. Vom virtuellen Raum aus schickt sich der Geiger mittlerweile auch an, internationale Konzertpodien zu erklimmen, und der ersten Eigenkomposition sind selbstverständlich weitere Stücke gefolgt, darunter eine d-Moll- und eine Ges-DurRomanze, denen man gleichfalls online begegnet.
Das verlegerische Kalkül bei der Veröffentlichung dieser drei Miniaturen scheint daher vorwiegend auf jene Klientel zu zielen, die sich im Netz mit enthusiastischen Kommentaren überbietet; die Qualität der Musik hingegen war wohl weniger wichtig, weil der eklatante Mangel an Originalität sonst kaum das Interesse eines renommierten Verlags erregt habe dürfte. Tatsächlich bedient sich Kim ziemlich dreist bei allerlei romantischen Komponisten und fügt seine Stücke aus Elementen zusammen, die man – wie den inflationären Gebrauch des Mollsubdominantakkords – aus der Salonmusik bis zum Überdruss kennt. Die Romanzen wirken folglich so, als seien sie – unter Bezug auf ständige Wiederholungen und ausgiebiger Inanspruchnahme von Sequenzen – aus unterschiedlichsten Versatzstücken zusammengeklebt worden. Geleitet ist diese Machart ganz offensichtlich von dem Wunsch, die Musik als Vehikel einer emotionalen Botschaft zu benutzen, was aber angesichts eher armseliger harmonischer Lösungen und wenig abwechslungsreicher melodischer Einfälle auf Dauer recht eintönig wird.
Immerhin verbindet Kim seinen naiven Lyrismus mit anspruchsvollen violintechnischen Problemstellungen wie Akkord- und Doppelgriffspiel oder klanglich exponiertem Vortrag auf der G-Saite in höchsten Lagen, weshalb die Stücke selbst erfahrenen Geigern eine ganze Reihe von Herausforderungen bieten dürften. Wer darüber hinaus von Musik auch intellektuell gefordert sein möchte, sollte die Romanzen links liegen lassen, denn dafür taugen sie nicht.
Allerdings ist es erheiternd, Kims Vorwort zu lesen: Darin brüstet er sich, er habe für seine Stücke eine Technik zur Hervorbringung neuartiger „Harmonics“ entwickelt, die „eindrucksvoll charakteristische Klangfarben“ – ähnlich denjenigen von natürlichen oder künstlichen Flageoletts – ermöglichten, allerdings technisch „viel flexibler“ verwendet werden könnten und z.B. in der Ges-Dur-Romanze „eine einzigartig mystische Klangatmosphäre“ erzeugten.
Deutlicher kann der Geiger nicht unter Beweis stellen, dass er von neueren spieltechnischen Möglichkeiten seines Instruments keine Ahnung hat. Man kann ihm eigentlich nur die Empfehlung mit auf den Weg geben, er möge sich etwas intensiver mit den violintechnischen Grundlagen der Musik Salvatore Sciarrinos befassen oder zumindest die Lektüre von Patricia und Allen Stranges The Contemporary Violin: Extended Performance Techniques (2001) in Angriff nehmen, bevor er eine solche „Erfindung“ für sich reklamiert.
Stefan Drees