Matthews, Rachel

Dreams

for viola and piano, Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ourtext Chamber Music, London 2010
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 74

Die amerikanische Komponistin Rachel Matthews (geboren 1966) dürfte vermutlich nur ganz profunden Kennern des Musiklebens in den USA ein Begriff sein. Die ausgebildete Pianistin hat erst in den vergangenen zehn Jahren das Komponieren für sich entdeckt. Entsprechend schmal ist ihr Œuvre, das bislang vor allem Klavier- und Kammermusik umfasst. Grund genug für den englischen Verlag Ourtext, bei der Herausgabe von Dreams (einer dreisätzigen, gut zehn Minuten dauernden Suite für Viola und Klavier aus dem Jahr 2008) auch gleich noch ein bisschen die Werbetrommel zu rühren: Eine eigens verfasste Pressemitteilung weist stolz darauf hin, dass das Werk bereits zwei Kompositionspreise in Folge gewonnen habe – erst den 2010 Biennial Maurice Gardner Preis der American Viola Society, anschließend einen „Internationalen Preis für hervorragende Komposition“ der Nationalen Griechischen Musikakademie (einem Wettbewerb der Konservatorien von Neapolis und Sykies). Die englische Bratschistin Helen Callus, der Dreams gewidmet ist, und Scott Slapin, Mitglied der Jury beim Gardner Preis, loben das Stück in den höchsten Tönen: Es sei „ein wunderschönes Werk, voller Emotion und Dramatik“, das „ein weites Spektrum von Klangfarben und Stilen umschließt“ und „zum Standard-Repertoire für jeden Viola-Spieler gehören“ sollte.
Allen Vorschusslorbeeren zum Trotz: Traumhaft ist bei Dreams höchstens die Promotion. Musikalisch gleicht das Stück eher einem unangenehmen Albdruck, aus dem man am Ende schweißgebadet aufwacht. Transportiert wird hier nämlich vor allem neoromantische Inbrunst: Die Sätze beginnen verhalten, steigern sich schnell in geschäftigen Läufen und gewichtigen Akkordfolgen zu großen pathetischen Gesten und verebben schließlich wieder im bedeutungsschwangeren Nichts – die Pressemitteilung nennt das „das volle Ausdrucksspektrum der Viola, eng integriert mit einem lebhaften Klaviersatz“. Der erschreckend klischeehaften Schwülstigkeit entspricht der unreflektierte Gebrauch einer kaum gebrochenen Tonalität: Die Rahmensätze stehen deutlich in B-Dur bzw. d-Moll, mitunter mit traditionellen funktionsharmonischen Verbindungen und im gänzlich ironiefreien Raum – hier ist die Postmoderne phasenweise zum Kitsch verkommen.
Wer sich dennoch auf das Abenteuer Traumdeutung einlassen mag, findet in der Ourtext-Ausgabe immerhin einen verlässlich gearbeiteten Notentext mit einem praxistauglichen Druckbild vor. Widmungsträgerin Helen Callus hat die Solo-Stimme gesondert ediert und mit hilfreichen Fingersätzen, Bogenstrichen und Stichnoten versehen. Da beide Partien nicht geringe technische Ansprüche stellen, sollte man aber in jedem Fall ausreichend Vorbereitungszeit mitbringen. Ob sich der Aufwand lohnt, lässt sich dank den Segnungen des Internets leicht vorher überprüfen: Eine Aufführung von Dreams mit Scott Slapin an der Bratsche und der Komponistin am Klavier kann man (mit Einwilligung beider Interpreten) bei YouTube bewundern.
Joachim Schwarz