Botero, Mauricio
Don Ottos Klassikkabinett
CD-Läden nehmen im gegenwärtigen Aufschwung des Internet an Bedeutung ab. Die Bestellung wird einfach, das Angebot unermesslich und die Lieferung kommt frei Haus. Was dadurch an kulturellem Wert abhanden kommt, wird bei Boteros Buch deutlich ins Bewusstsein gebracht: der Laden als Ort der Begegnung, der Verkäufer als mehr als nur beratende Person.
Im Fall von Don Otto, Inhaber des Kabinetts und passionierter Musikforscher, hat man es mit einem universal gebildeten Menschen zu tun was freilich bei Verkäufern eher selten ist. In seinen Begegnungen mit den Kunden verweben sich die Musik, die Literatur und das Leben auf vielschichtige Weise, bedeutende Werke und Aufnahmen der abendländischen Musik gelangen in skurrilste Zusammenhänge. Schon in der ersten Geschichte treffen Olivier Messiaen und umher streunende Punker aufeinander und eröffnen ganz ungewöhnliche Sichtweisen, was interessant an einer Musik scheint und was nicht.
Dabei verhehlt der Autor seine noble und meist liebenswerte Arroganz nicht, die allerdings nicht nur seinen teils bizarren Klienten zugute kommt, sondern auch der Musikgeschichte selbst, die wie so oft in solch famosen Büchern leider schon mit Messiaen, eigentlich mit Strauss endet. Aber das gehört in diesem Fall sehr schlüssig zur Couleur des Buches selbst. Durch die einfühlsame und poetische, dabei stets knapp gehaltene Beschreibung von Musik verwandelt sich das Kabinett in ein Antiquitätengeschäft der ganz besonderen Art. So schmucklos eine CD-Verpackung daherkommt, ihr Inhalt eröffnet spirituelle Kleinodien, die den Zuhörer in andere Sphären bringen.
Wie schon Villem Flusser feststellte, kann sich die Geste des Musikhörens unter profansten Bedingungen ereignen, ihr Vollzug wird dennoch zum spirituellen Ereignis. Profan sind hier allerdings weder Don Ottos Kabinett noch das Buch selbst. Der Unions-Verlag hat dem Charakter eines kostbaren Kleinodes aufs Beste Rechnung getragen. Der kleinformatige Leineneinband ist mit rotem Inneneinschlag und Leseband bibliophil gestaltet; zu Beginn jeder der 31 Geschichten thront ein Notenbeispiel in Originalhandschrift der Komponisten.
Von besonderem Reiz für den europäischen Leser dürfte letztlich auch das Ambiente Bogotás sein. Don Ottos Klassikkabinett gewinnt einen exotischen Charme durch das Aufeinandertreffen von Kulturen, das sich dezent in der Erwähnung erlesener Kaffeesorten mit musikalischen Klängen mischt. Umso mehr verbreitet das Buch einen seltsamen Zauber durch die verschlungenen Autorschaften, die das Buch in bester südamerikanischer Literaturtradition vollzieht. Schon die Widmung Für Mauricio betritt jene labyrinthischen Spiegel, die auch für Jorge Luis Borges, mit dem Botero befreundet war, charakteristisch sind. So kann es schon einmal passieren, dass sich hinter einer Vortragsangabe wie Adagio molto delicato ganz ungeahnte Welten auftun. Botero wurde für dieses Werk mit dem Premio Nacional de Cuento ausgezeichnet.
Steffen A. Schmidt