Walter Braunfels

Don Gil. Prelude op. 35 / Divertimento op. 42 / Ariels Gesang op. 18 / Serenade op. 20

ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Ltg. Gregor Bühl

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 78

Die Renaissance von Walter Braunfels bricht sich unaufhaltsam Bahn. Mit den Produktionen seiner Oper Die Vögel nach Aristophanes am Theater Osnabrück, bei den Tiroler Festspielen Erl und an der Bayerischen Staatsoper scheint die Begeisterungshöhe wie zur Münchner Uraufführung 1920 erreicht. Zu dieser Erfolgswelle gehört auch der inzwischen auf sieben Teile angewachsene CD-Zyklus des Labels Capriccio (teils mit Deutschlandradio) mit Orchester- und Vokalwerken des wegen seiner konsequenten inneren Emigration nach dem Zweiten Weltkrieg als Komponist vergessenen Direktors der Musikhochschule Köln. Gregor Bühl steht hier nach zwei Beiträgen mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz nun vor dem nicht nur die straussnahen Stellen glänzend ausführenden ORF Radio-Symphonieorchester Wien.
Schon im einleitenden Divertimento op. 42 aus dem Jahr 1929 zeigt sich, dass der später im kompositorischen Ausdruck wie in seiner Oper Jeanne d’Arc nüchterner klingende Braunfels voll in den spätromantischen Instrumentationsfarbtopf griff und gerne mit modernen Zutaten operierte. Das Saxofon verwendete Braunfels ohne Tremolo. Er liebäugelte mit Synkopen à la Kurt Weill und überschritt doch nicht den Rubikon zu Neuer Sachlichkeit, Expressionismus und Atonalität bzw. Zwölftönigkeit. Bevor Braunfels als „Halbjude“ einer der von den braunen Machthabern im „Dritten Reich“ Ausgegrenzten wurde, nahm er seinen Erfolgsweg als intellektueller und dabei poetischer Fantast. Zu hören ist das hier in den Streicherkantilenen von Ariels Gesang op. 18 (1910) für Orchester. Die Flötentriller und einige wiederholte Melodien legen sogar nahe, das Werk als eine ins Heiter-Versöhnliche gewendete Salome-Paraphrase zu verstehen.
Das burleske Vorspiel zur Oper Don Gil von den grünen Hosen nach Tirso de Molina zeigt, wie Braunfels vollauf gewillt war, an den Versuchen eines mozarthaft durchlichteten Konversationsoperntypus mit heiteren Sujets mitzuwirken. In den auf dieser CD gebündelten Kompositionen hört man Stücke eines meisterhaften Könners, der Extreme scheut. Dabei steht Braunfels in größtmöglich denkbarer Entfernung zu den philosophisch programmierten und ausladenden Orchesterballungen, die die großen Konzertpodien um 1918 zum Vibrieren brachten.
Das ORF Radio-Symphonieorchester lässt sich auf die häufigen Wechsel der Besetzungskombinationen, das Burleske, das Verspielte, Singende und Tänzerische gerne ein. Braunfels verbietet sich hier durch die Titelbezeichnungen Divertimento und Serenade das Schwere, Drängende und Lastende. Gregor Bühl wirkt mehr gestalten lassend als gestaltend, was natürlich täuscht. Dabei findet er mit dem Orchester zu farbig abhebender Sanglichkeit, die nichts von den musiktheoretischen Erschütterungen der Kunstmusik in den Entstehungsjahren dieser Partituren merken lässt. Braunfels ist dem Überschwang Mendelssohns hier weitaus näher als dem Wagners.