Stravinsky, Igor / Dimitri Shostakovich

Divertimento / Sonata for Violin and Piano op. 134

SACD

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite 92.576
erschienen in: das Orchester 04/2012 , Seite 73

Zwei große russische Komponisten der „klassischen Moderne“, die jeweils in unterschiedlichen Kulturbereichen und politischen Anschauungen lebten und wirkten, sind hier beim Label Audite auf einer CD mit zwei gegensätzlichen Kammermusikwerken vereinigt: das leichtfüßige Divertimento von Igor Strawinsky und die spröde klingende Violinsonate von Dmitri Schostakowitsch aus seinem letzten Lebensabschnitt.
Im Gedenken an Peter Tschaikowskys 35. Todestag orchestrierte und arrangierte Strawinsky eine Reihe von dessen Salonliedern und Klavierstücken und komponierte nach Art seiner früheren Ballette wie Pulcinella ein weiteres Ballett mit dem Titel Der Kuss der Fee nach dem Märchen Die Eisjungfrau von Hans Christian Andersen. Durch Strawinskys eigene, neoklassisch geprägte Musiksprache entstand auf diese Weise ein raffiniertes Werk, das er zugleich als Hommage an Tschaikowsky verstanden wissen wollte. 1932 regte der Geiger Samuel Duschkin an, der bereits Strawinskys Violinkonzert uraufgeführt hatte, daraus eine Art Suite zu machen. Daraufhin bearbeitete er Teile des Balletts als überaus geistvolles Divertimento und behielt sogar die vierteilige Anlage des Balletts bei.
Wie auf deren Leib geschrieben scheint das Werk den beiden renommierten Künstlern Judith Ingolfsson und Wladimir Stoupel geschmeidig und leicht von der Hand zu gehen. Viel Wert legen beide auf die lyrischen und melodischen Passagen, beleuchten den spezifischen Strawinsky’schen Kolorit und kitzeln dessen feine Rhythmik heraus, welche sie zum einen mit präzisem Anschlag, sauberem und warmem Bogenstrich bestens herausarbeiten, zum anderen diese Musik angenehm nachempfunden und bestens im Zusammenspiel musizieren: Strawinsky in märchenträumerischem Gewande.
Attribute, die auch im zweiten Stück deutlich zutage treten. Jedoch holt Schostakowitschs Violinsonate den Hörer erst einmal in die harte Gegenwart sowjetischer Realität zurück. Das dreisätzige Werk ist alles andere als träumerisch. Zum 60. Geburtstag für den Geiger David Oistrach 1968 komponiert, ist es typisch für den resignierten und vom Leben gezeichneten Komponisten. Zwar besitzt der schnelle Satz nicht mehr die schwitzende Aggressivität früherer Werke, aber der unbändige Zorn, welcher tief ins Fleisch geht, ist unmittelbar spürbar. Das wurde schon in der Interpretationspaarung Oistrach/Richter von 1969 hörbar, die lange als Vorbild galt, und bei der die übrigen Sätze eine Fahlheit mutloser Resignation erzeugen. Aber auch diese Interpretation geht unter die Haut, da Ingolfsson/Stoupel die Sätze ebenso intensiv und spannungsgeladen, jedoch etwas langsamer spielen und die ohnmächtig wirkenden Empfindungen höchst einfühlsam, beinahe bis zum Reißen, auskosten. Während bei Oistrach/ Richter manches gläserner, kantiger, situationsbedingt vielleicht auch unmittelbarer klingen mag, so erscheint jetzt trotz des aufwühlenden Zorns im Nach­hinein manches versöhnlicher und zerbrechlicher: inzwischen mit einer subtilen Idee von Vergebung.
Werner Bodendorff