Werke von Weber, Schumann, Dvořák und anderen
Divertimento: Kirschendiebe
Musikalische Lesung mit Anke Bär und den Bremer Philharmonikern
Um „Kirschendiebe“ geht es nicht in allen Kapiteln. Und ob Lotte, Paul, Hannah und Knut, die die Nachkriegsjahre in einem Forsthaus verbringen und dem geizigen Regiment der „grässlichen“ Frau Greßmann lediglich einige köstliche Früchte aus reich bestücktem Garten abtrotzen, wirklich „Diebe“ sind, sei dahingestellt. Anke Bärs 2018 erschienenes Buch – sein Untertitel „…oder als der Krieg vorbei war“ deutet es an – lässt sich indes nicht auf einzelne Episoden reduzieren. Hier entsteht vielmehr ein Zeitpanorama. Und mag dem Buch vielleicht die Stringenz einer durchgehenden „Story“ fehlen, so wird dieser scheinbare Mangel ausgeglichen durch atmosphärestarke Schilderungen der entbehrungsreichen und zugleich vor Lebenskraft strotzenden Zeit der Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.
Gewiss: Manch junger Leser/Hörer mag nur verschwommene Vorstellungen verbinden mit einem Forsthaus, mit dörflichem Leben, gar mit Elstern, Lederhosen oder einer altertümlichen Schreibmaschine. Anke Bärs suggestive, detailgenaue, ebenso plastische wie einfühlsame Schreibart dürfte jedoch die intendierte Zielgruppe – Kinder ab 10 Jahren – schnell in ihren Bann ziehen, und insbesondere die Hauptperson Lotte lädt ein zur Identifikation: mutig, von Gerechtigkeitssinn beseelt, wenig geneigt, traditionelle Rollenbilder unhinterfragt zu übernehmen, zugleich sehr liebenswert.
Das gelungene Kinderbuch der in Bremen lebenden Autorin und Illustratorin erklingt hier in einer Produktion, für deren musikalischen Teil die Bremer Philharmoniker verantwortlich zeichnen – leider (coronabedingt) nicht das ganze Orchester, sondern „nur“ ein Kammermusikensemble, das indes durch homogenes, blitzsauberes und differenziertes Spiel rundum überzeugt: Anette Behr-König und Romeo Ruga (Violine), Anke Ohngemach (Viola) und Karola von Borries (Violoncello) sind zu hören mit Arrangements zweier Schumann’scher Kinderszenen, mit Ausschnitten aus Webers Freischütz und einem ebenso schwungvoll wie präzis dargebotenen Finale aus Dvořáks „Amerikanischem Streichquartett“. Perkussionistin Rose Eickelberg tritt subtil unterstützend hinzu in Leroy Andersons Typewriter, in zwei Songs des genialen Michael Jary und im Evergreen Von den blauen Bergen kommen wir, jenem Lied, das Lotte, zum Singen gedrängt, arglos hinausschmettert, um dann überrascht festzustellen, dass ihr wenig geliebter Lehrer Herr Fettig doch Humor hat. Nicht überall freilich besteht eine so klare Verbindung zwischen erzähltem Text und Musik, bisweilen mutet die Musikauswahl ein wenig beliebig an.
Ungeachtet dieser Einschränkung: Kirschendiebe bereitet Freude, den Hörern guter Jugendliteratur ebenso wie jenen guter Musik! Und damit dem Konzertpublikum in spe, dem Hörenswertes anzubieten wir nicht müde werden dürfen.
Auf wen die bisweilen brillanten Arrangements zurückgehen, wird leider nicht verraten – somit hier nur ein anonymes Lob.
Gerhard Anders