Bartók, Béla

Divertimento für Streichorchester

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 64

„Ich fühle mich etwa wie ein Musiker einer alten Welt von seinem Mäzen als Gast eingeladen.“ Das schrieb Béla Bartók an einen seiner Söhne am 18. August 1939, als er sein Divertimento für Streichorchester komponierte. Bemerkenswert, gerade in dieser bedrohlichen Zeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ein Divertimento zu schreiben, zumal diese Gattung in nachbarocker Zeit für Unbeschwertheit und Einfachheit stand. Bartók wusste das selbstverständlich auch und kam deshalb nicht umhin, zum einen sein Werk eben mit Stilmitteln der klassischen Periode und Anklängen an barocke Formmuster des Concerto grosso mit leichten und tänzerischen Elementen ungarischer Volksmusik zu würzen.
Damit eröffnete Bartók seinen spezifischen Stil, eine Tonsprache, die für ihn typisch wurde. Zum anderen spiegelt der langsame Satz mit seinen dunklen Farben den Liedtypus des Sirató, eines ungarischen Klagelieds, wider: möglicherweise die „Vorahnung des kommenden Unheils“? Am 25. August, also gerade einmal eine Woche vor Ausbruch des Kriegs, war das dreisätzige Werk vollendet.
Ulrich Mahlert als Herausgeber dieser Neuausgabe, welche sich hauptsächlich auf Bartóks Handexemplar des Erstdrucks der Partitur stützt, weist in seinem ausführlichen, zweisprachigen Vorwort und dem Revisionsbericht unter anderem darauf hin. Er erhellt kenntnisreich „Entstehung und Umfeld“ des Divertimentos, schreibt über Veröffentlichung und Uraufführung, erläutert das Werk selbst und dessen Rezeption.
Die Entstehungsgeschichte liest sich hierbei besonders spannend, da das Divertimento ein Auftragswerk des Schweizer Dirigenten und Musikmäzen Paul Sacher ist, der nicht nur dieses Werk in Auftrag gegeben hatte, sondern bereits 1936 auch die Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta sowie ein Jahr darauf die Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug. Paul Sacher wünschte unter anderem eine reine Streicherbesetzung. Vor allem aber sollte das Werk technisch nicht ganz so schwierig wie die vorigen sein, da die meisten Akteure seines von ihm gegründeten Basler Kammerorchesters studierte Laienmusiker waren.
Ein im Vorwort teils abgedruckter Briefwechsel zwischen Sacher und Bartók gewährt aufschlussreiche Einblicke in den Entstehungsprozess der Arbeit, die in Sachers Einladung mündete und die Bartók dankbar annahm, das im Berner Oberland gelegene Châlet Aellen in Saanen zu beziehen.
Die neue Partitur erfüllt hinsichtlich Druck und Layout höchste Ansprüche. Von Vorteil sind die groß gedruckten, häufigen Taktwechsel in den beiden Violinstimmen, insbesondere im Kopfsatz. Ein wohl eigens erfundenes Pizzicatozeichen, bei dem die Saite auf das Griffbrett prallen soll (III. Satz, Bass, T. 117 oder T. 583), ist direkt erklärt. Darüber hinaus kann der Dirigent sich an den angegebenen Zeitangaben orientieren, welche am Seitenende notiert sind, ob das Orchester im richtigen Tempo spielt.
Werner Bodendorff