Georg Katzer

Discorso

für Orchester, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Gravis, Brühl
erschienen in: das Orchester 10/2019 , Seite 61

Schlucken musste er erst einmal und dann noch spazieren gehen; Zeit, um sich gut zu überlegen, ob er die Aufgabe annahm, vertraute Georg Katzer dem Deutschlandfunk an. Vladimir Jurowski, Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, hatte ihn gebeten, ein Orchesterstück zu komponieren, das das alljährliche Silvesterkonzert mit Beethovens 9. Symphonie einleiten sollte. Angenommen hat Katzer die Herausforderung dann doch und so konnte Discorso am 30. Dezember 2018 in Berlin uraufgeführt werden. Regelmäßig steht Beethovens große, ja monumentale Symphonie auf dem Programm der Jahresendkonzerte, die genauso regelmäßig zum fest eingeplanten Auftakt so mancher Silvesterfeier werden. Aber bewegt diese Musik noch? „Wir hören nur, was wir hören möchten“, so Jurowski, doch er möchte die Ohren seines Publikums öffnen für neue Erfahrungen, neues Erleben, und so stellte er an den Beginn des traditionell geprägten Abends ein im wahrsten Sinne des Wortes noch ungehörtes Orchesterwerk. Er ist sich sicher, dass danach auch Beethoven neu gehört wird. Neue Musik als Ohrenbrecher für Bekanntes? Kann das Konzept wirklich aufgehen? Katzer war sich der Gefahr auf der einen und der Herausforderung auf der anderen Seite bewusst. Er schuf keineswegs eine Ein- oder Hinleitung zu Beethovens letzter Symphonie. Discorso ist und bleibt ein eigenständiges Werk. Aber auch eine verhangene, ja herausfordernde Komposition. Katzer stellt Klangflächen gegenüber, die miteinander interagieren, ja quasi ein Gespräch beginnen, eben einen Diskurs. Vorwärts getrieben wird dieser Orchesterdialog durch eine prägnante Rhythmik. Nicht nur, dass die Rhythmusgruppe mit vier Pauken und drei Percussionspielern schon reich besetzt ist, auch für die übrigen Instrumente schreibt Katzer eine recht detailliert-perkussive Spielweise vor. Aber die Entwicklung, besser der Vorwärtsdrang des Stücks findet in den Klangflächen statt. Plakativ lösen sich Streicher- und Bläserparts ab, vorwärts getrieben durch eine lebendige, ja fast überschäumende Rhythmik. Die immer wieder deutlich herausgearbeiteten Pausen gliedern dabei die Klangflächen, schaffen Zeit, um bereits Erklungenes noch einmal zu entdecken, schaffen aber auch Raum zum Stellungswechsel, zum Einnehmen einer anderen Position. Dennoch haben die weiten Klangflächen, die im Großen und Ganzen im Geräusch verharren, etwas Groteskes an sich. Das Stück scheint streckenweise auf der Stelle zu treten, und statt die Idee des Dialogs weiter zu verfolgen, bleibt es selbstverliebt in seiner Klangstarre gefangen. Dennoch funktioniert das Konzept: Man hört die Orchesterklänge neu, feiner und konzentrierter. Als alleiniges Vorspiel zu Beethovens Symphonie ist Discorso zu schade. Es ist ein Stück, das funktioniert, eben auch, weil es an so vielen Ecken noch ergebnisoffen ist – wie jede gute Diskussion auch.
Markus Roschinski