Gülke, Peter
Dirigenten
An Dirigenten-Biografien besteht kein Mangel. Bei Peter Gülke sind ob des sachlich-neutralen Titels solche indes von vorneherein nicht zu erwarten. Der 83-jährige Gülke ist selbst Dirigent von Rang und ein vielseitiger, akribischer Musikwissenschaftler. Diese Doppelfunktion gibt seinem Buch ein besonderes Qualitätsgewicht. Es lohnt also, sich zu den fundierten Erkenntnissen und Bewertungen ungeachtet rhetorisch fulminanter, aber auch schon mal fachlastiger und sprachlich etwas brütender Formulierungen hindurch zu lesen bzw. zu arbeiten.
Dirigenten ist keine zusammenhängend entstandene Anthologie, sondern eine Sammlung unterschiedlicher Beiträge. Die ausgesuchten Persönlichkeiten tragen fast ausschließlich große Namen. Sie wirken in summa vielleicht etwas zufällig zusammengestellt, aber die Publikation legt es erklärtermaßen nicht auf eine irgendwie geartete Vollständigkeit an. So erfährt der kurz erwähnte Leonard Bernstein keine spezifische Würdigung, obwohl seine genialische Persönlichkeit eine solche eigentlich herausfordern müsste.
Alle zu unterschiedlicher Zeit entstandenen Texte Gülkes sind unrevidiert zu lesen, was schon mal Mehrfachbemerkungen zu ein und demselben Sachverhalt nach sich zieht. In einem Fall allerdings erfolgt gezielt ein nachträglicher Kommentar. Eugen Jochum (Würdigung zu seinem 100. Geburtstag) wird in künstlerischer Hinsicht zwar nicht infrage gestellt, der Schulterschluss des Dirigenten mit dem NS-Regime jedoch gemäß jüngster Forschungen kritisch beleuchtet. Die äußerlich vergleichbare Haltung Wilhelm Furtwänglers findet hingegen Gülkes Verständnis. Er begründet Furtwänglers Entlastung nicht zuletzt mit den Konzertaufnahmen vom Beginn der 1940er Jahre in der Alten Philharmonie Berlin, welche für ihn einen innerkünstlerischen Protest gegen die Ideologie der Nazis dokumentieren. Zum primär imaginativ musizierenden Furtwängler wird der streng dressierende Arturo Toscanini als extremer Gegenpol geschildert. Kontrastreiche Betrachtungen und Bewertungen finden sich auch bei den anderen porträtierten Dirigenten; die Namen zwischen Hans von Bülow und Nikolaus Harnoncourt bilden freilich nur einen Rahmen, keine vollständige Phalanx. Eine stimmige Quintessenz ergibt sich aus Gülkes Beschreibungen gleichwohl.
Die DDR-Vergangenheit des Autors erklärt die Bevorzugung eines Hermann Abendroth, Kurt Sanderling oder auch Kurt Masur gegenüber anderen Maestros. Aber solches Pars pro Toto erscheint im Rahmen des Buches durchaus legitim. Die Schilderung des trotz unermüdlicher Aufbauarbeit letztlich gescheiterten Joseph Trauneck (1898-1975) wirkt als Kontrast zu mancherlei Glanz-und-Gloria-Karriere zudem ausgesprochen sympathisch. Ansonsten erfährt man von Peter Gülke Bedeutsames zu Felix Weingartner, Richard Strauss, Herbert von Karajan, Rudolf Kempe, Carlos Kleiber, Igor Markevitch und Günter Wand. Besondere Aufmerksamkeit gilt zum Schluss Interpretationsaspekten der ersten Sinfonie von Johannes Brahms.
Christoph Zimmermann