Bob Ross

Dirigenten und andere Katastrophen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: LangenMüller
erschienen in: das Orchester 01/2018 , Seite 60

„Der Dirigent ist der natürliche Feind des Musikers.“ Diesen Satz gab ein älterer Musikerkollege vor vielen Jahren dem jungen, schottischen Hornisten Bob Ross in München mit auf den Weg. Diesem „natürlichen Feind“ spürt Bob Ross nun in seinem Buch nach und er tut das mit viel Wissen und augenzwinkerndem Witz. Er erzählt von Dirigenten, die den Musikern außerhalb des Konzertsaals möglichst nicht begegnen wollen (was in einem Fall dazu führte, dass sich der Maestro im Keller verirrte und um ein Haar das Konzert verpasst hätte), von einer unter Musikern kursierenden Top-Ten-Liste der unangenehmsten Dirigenten (auf der sich seltsamerweise ausschließlich deutsche Namen finden) und vom Neid vieler Kollegen auf die Wiener Philharmoniker, die ganz ohne Chefdirigent auskommen und wo manche Dirigenten „für kleines Geld“ auftreten, „wegen der Ehre“.Dass all dies nicht in eine Art „Dirigenten-Bashing“ ausartet, ist Ross’ quirligem und von schottisch-schwarzem Humor durchtränkter Prosa zu danken, die sich fröhlich durch das Orchesterleben mäandert. Ross erzählt von seinen Erfahrungen als Dirigent des von ihm gegründeten Bläserensembles „Blechschaden“; von anfänglichen Differenzen mit dem Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Sergiu Celibidache, mit dem ihn dann doch eine langjährige Freundschaft verband; von kleinen Racheakten der Musiker; und von der Geschichte des Dirigierens, die mitunter makabre Blüten trieb: So rammte sich einer der ersten Dirigenten, Jean-Baptiste Lully, im 17. Jahrhundert seinen – damals noch zwei Meter langen – Taktstock so unglücklich in den Fuß, dass er wenig später an der entzündeten Wunde verstarb.Aber nicht nur um Dirigenten geht es in dem Büchlein: Ross beleuchtet zahlreiche Aspekte der Musik, er berichtet von steinzeitlichen Flöten aus Tierknochen, von Mozarts Geldproblemen und Beethovens Weltfremdheit, von der Diskussion um die Akustik im Münchner Gasteig und von der „politischen“ Aufteilung eines Orchesters („die Streicher konservativ aus wohlhabenden Familien, so etwa CDU/CSU, die Holzbläser sind die Liberalen zwischen den Fronten und alles, was hinten ist, Blech und Schlagzeug, kommt eher aus der linken Ecke“).Um eine Struktur schert sich Ross dabei weniger, er springt von Thema zu Thema, vom Orchester zur Brassband oder vom Fußball
zu Auftrittsängsten eines Musikers. Zwischen all diesen Anekdoten, Betrachtungen und Witzeleien verbergen sich freilich auch ernste Töne, wenn sich Ross etwa mit Musikerschicksalen im „Dritten Reich“ befasst, mit der komplexen Organisation eines Orchesters oder mit dem zunehmenden Druck, dem Musiker heute ausgesetzt sind.Und so bietet das Büchlein auch einige Einblicke in den nicht immer ganz einfachen Alltag des Orchestermusikers, der nicht nur mit dem Dirigenten allzu oft zu kämpfen hat. Jenen Dirigenten, die oft zur Selbstüberschätzung neigen – und denen Ross einen Satz ins Stammbuch schreibt: „Die Friedhöfe sind voll mit Unersetzlichen.“
Irene Binal