Rihm, Wolfgang
Dionysos
2 DVDs
Der Text ist von mir, jedes Wort ist von Nietzsche, sagt Wolfgang Rihm über das Libretto seiner Opernfantasie Dionysos. Nach drei Anläufen kam das Werk, an dem der Karlsruher seit 15 Jahren arbeitete, 2010 in Salzburg auf die Bühne. Basis ist Nietzsches späte Dichtung Dionysos-Dithyramben. Doch dies ist keine Literaturoper und ebenso wenig eine Nietzsche-Biografie auf dem Theater. Allerdings geht die Gedankenwelt des Philosophen in dieses Stück ein. So ist die im Mittelpunkt stehende Figur des N. auch Dionysos, Marsyas, der Gekreuzigte. Große Themen also!
Die DVD bietet einen Mitschnitt der von Ingo Metzmacher souverän geleiteten Produktion mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung Jörn Andresen). Ideenreich führt Pierre Audi Regie im Bühnenbild von Jonathan Meese mit Kostümen von Jorge Jara. In den drei Hauptpartien sind der Bariton Johannes Martin Kränzle als N., Mojca Erdmann als 1. Hoher Sopran/Ariadne sowie der Tenor Matthias Klink als Ein Gast/Apollon zu erleben.
Ein riesiges projiziertes Porträt des todkranken Nietzsche verschwindet vom Bühnengeviert, während das Orchester anhebt, N. steht reglos auf der fast leeren Bühne. Zwei blonde Sopranistinnen fragen: Mich willst du? Beharrlich umgarnt und provoziert ihn die erste mit virtuos-ariosem Gesang, als er im Ruderboot, im Gebirge zu entkommen sucht: Sprich endlich! Erst nach 20 Minuten bricht raues Grunzen aus ihm heraus. Dann, zunächst gepresst, schließlich leise gesungen: Ich bin dein Labyrinth
Der erste Einsatz des grandios facettenreich gestaltenden Hauptdarstellers! Sein N. ist ein Mann, der Laut und Sprache sucht, ein, nein: der Mensch in seiner Existenz. So erlebt man ihn in den vier Akten des zweistündigen Stücks laut Rihm auf fiebrigen Assoziationsfeldern: nietzsche-nah, doch nicht nietzsche-identisch. Halbabstrakt in den Bildern des Skandalkünstlers Meese spielt die Szene am See, im Gebirge bei Sils Maria, in einem Interieur, auf einem Platz in Turin, wo der Philosoph 1889 seinen Zusammenbruch erlebte. Am Ende wird der zu Marsyas mutierte N. von Apollon gehäutet
und verstummt.
Sehr theaterwirksam ist Rihms Musik, dabei attraktiv und auch stimmengerecht für die Solisten. Die Partie der Ariadne hat der Komponist eigens für Mojca Erdmann geformt fast kann man an Mozarts Arien für Diven denken. Mit dem Orchester werden, zwischen brachialer Wucht und empfindsamer Lyrik vermittelnd, riesige emotionale Tableaus geboten. Ein Meisterwerk!
Der Film Ich bin dein Labyrinth von Bettina Ehrhardt auf einer zweiten DVD mit Werk- und Probenausschnitten sowie Statements von Rihm, Metzmacher, Audi und Meese, szenisch ergänzt von Lothar Mattner als Wanderer in Sils Maria zur Personifizierung des historischen Nietzsche, eignet sich auch zur Einstimmung.
Günter Buhles