Hiller, Ferdinand
Die Zerstörung Jerusalems
op. 24, 2 CDs
Mit der vorliegenden CD eröffnet sich dem an Neuentdeckungen interessierten Hörer eine bislang verschollene Klangwelt: Ferdinand Hiller, ganz in der Tradition Mendelssohns stehend und unverkennbar in dessen Aura komponierend, hatte 1840 dieses Werk vorgelegt und in Leipzig aufgeführt. Hillers Wirkungsgrad auf das deutsche Musikleben, insbesondere durch seine langjährige Intendanz der Niederrheinischen Musikfeste, wird bisweilen zu wenig gewürdigt.
Seine Meisterschaft als Komponist ist aber gerade in diesem bewegenden oratorischen Denkmal einer mit allen dramatischen Sujets lockenden Geschichte wie der Belagerung Jerusalems durch die Babylonier herausgefordert und auch belegt. Das Textbuch des Düsseldorfer jüdischen Theologen Salomon Steinheim hat Luthers Übersetzung des Prophetenbuchs des Jeremia als Grundlage. Verständlich, dass die unveränderten Luther-Texte auch besonders enthusiastisch von Hiller in Musik gefasst sind.
Hiller schafft es, ohne sich in (über)langen Arien aufzuhalten, in kurzweiliger Folge Chöre und Solisten in den Ablauf der Tragödie einzugliedern. Dabei gilt es auch formale Kuriositäten festzustellen, etwa eine als Violinkonzert beginnende große Chorfuge. Es lag also nahe, dass sich die heutigen Leipziger Interpreten hochwertiger Kirchenmusik dieses Werks annahmen. Die CD aus dem Querstand-Label in Koproduktion mit Deutschlandradio Kultur und dem MDR entstand als Mitschnitt im November 2011 im Gewandhaus Leipzig und lässt aufhorchen. Es ist bemerkenswert, über wie viele ausgezeichnete Ensembles die Stadt verfügt. In diesem Fall überzeugen der Gewandhauschor und das Leipziger Vokalconsort unter dem Dirigat von Gregor Meyer, der sich seit 2007 um die Chormusik am Gewandhaus kümmert, uneingeschränkt: Durchsichtigkeit, Textdeklamation und Klangschönheit des Chors sind vorzüglich. Die Auswahl der Solisten erfolgte sorgfältig, die vielfältigen biblischen Gestalten sind klanglich differenziert zu erleben. Allen voran steht der dem Jeremias eine mächtige und mahnende Stimme gebende Daniel Ochoa (Bariton). In weiteren Partien sind zu hören: Patrick Grahl (Tenor), Gudrun Sidonie Otto (Sopran), Tobias Hunger (Tenor), Annette Markert (Alt), Isabel Meyer-Kalis (Sopran), Manuel Helmeke (Bass) und Reinaldo Dopp (Tenor). Das mit zeitgemäßem Instrumentarium agierende Orchester Camerata Lipsiensis lässt keine Wünsche offen.
Das Booklet ist liebevoll und gründlich in zwei Sprachen verfasst, Ausführlich werden Dirigent, Solisten und Chöre porträtiert, die Mitglieder des “freien” Orchesters aber leider verschwiegen.
Joachim Neugart