Boieldieu, François-Adrien
Die weiße Dame
Boieldieus Opéra comique Die weiße Dame gehört nicht zu jener Spukromantik, wie sie die Romantik liebte. Dabei war der Librettist Eugène Scribe in diesem Genre durchaus geübt (Meyerbeers Robert der Teufel, Gounods Blutige Nonne). Bei La dame blanche aber wird Dämonie ironisiert. Die Sage von dem geheimnisvollen Geisterwesen ist nur eine Finte Annas, Stieftochter der einstigen Herrschaften von Schloss Avenel, um den besitzgierigen Verwalter Gaveston aus dem Felde zu schlagen.Dabei kommt ihr der junge George Brown zu Hilfe, der sich zuletzt auch noch als der vermeintlich gestorbene Sohn der Avenels entpuppt. Liebe flammt zwischen beiden auf, ein verborgener Schatz wird gefunden, das gute Ende ist also unausweichlich. Ein harmloses Sujet, kein Zweifel, welches aber zu einem unterhaltsamen Opernabend taugt, wenn man sich dem Werk (wie etwa 2001 in Düsseldorf) mit Charme und Witz zu nähern weiß. Die jüngste Produk-tion fand 2008 an der Kammeroper Schloss Rheinsberg statt. 1990 vom Komponisten Siegfried Matthus gegründet, profitiert sie sehr von dem atmosphärisch gelegenen Domizil, seinem Park, seinen Weihern; in dem Heckentheater wird besonders gerne Mozarts Don Giovanni gespielt. Das Schloss erschuf sich einst der Preußenkönig Friedrich II. als eine Art musischer Oase, Theodor Strom und Kurt Tucholsky setzten der Idylle später literarische Denkmäler. Die Kammeroper ist ein erfolgreiches Forum für junge Sänger. Erfahrene, mitunter sogar recht prominente Dirigenten und Szeniker arbeiten mit dem Nachwuchs. Im Fall der Weißen Dame war der mehr und mehr ins Regiefach strebende Countertenor Axel Köhler für das Bühnengeschehen zuständig. Ein akustisch nachprüfbares Detail seines Konzepts ist, dass die Dialoge durch einen Moderator (hauptsächlich in der Rolle des Scribe) ersetzt sind. Das vermeidet rhetorische Peinlichkeiten (zumal bei einer deutschsprachigen Aufführung mit hauptsächlich ausländischen Sängern) und bietet gleichzeitig manche Gelegenheit zu ironischem Brio.
Es wäre unfair, die Rheinsberger Liveaufnahme an den Einspielungen zu messen, wie sie Pierre Stoll 1961, Jean Fournet 1964 und Marc Minkowski 1996 hinterlassen haben. Hier standen alleine für die anspruchsvolle Partie des George Brown ein Michel Sénéchal, Nicolai Gedda bzw. Rockwell Blake zur Verfügung. Erstaunlicherweise überzeugt in Rheinsberg der Inder Amar Muchhala gerade in der heiklen Kavatine des zweiten Akts. Stimmlich ganz gelöst ist er insgesamt freilich noch nicht. Überaus erfrischend wirkt die Jenny von Mara Mastalir, weiterhin gefallen besonders Paola Leggeri (Anna) und Anne Catherine Wagner (Haushälterin Margarethe). Aber auch Christopher OConnor (Pächter Dickson) und Dionisos Tsantinis (Gaveston) wurden aus der Bewerberschar von über 400 Sängern kaum von ungefähr ausgewählt. Beim RIAS Jugendorchester unter Gernot Schulz klingt Boieldieus Musik klar und spritzig.
Christoph Zimmermann