Richard Wagner
Die Walküre
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Simon Rattle
Simon Rattles Walkürenritt beginnt ohne gepeitschtes Rasen. Er gleicht eher einem genau eingefangenen und gut beleuchteten Bild turbulenter Wolkenfelder. Bei dieser Deutung sind Rauschwirkungen, umnebelnder Wagner-Sog und apokalyptische Drohgebärden unerwünscht. Dafür besticht der Mitschnitt der beiden konzertanten Aufführungen am 8. und 10. Februar 2019 im Münchener Herkulessaal durch plastische Spannungsbögen und unaufgeregte Aufmerksamkeiten für Details. Mehrfach überraschen genau durchdachte Temposchübe und daraus entwickelte Akzentwechsel, ohne dass das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gegen den Strich gebürstet klingt.
Der 1870 im Münchner Hof- & Nationaltheater uraufgeführte Erste Tag aus Richard Wagners Der Ring des Nibelungen hat hier eine Rhetorik von fast französisch anmutender Geschmeidigkeit und voll tönender Deklamation bis in die immer äußerst differenziert ausgekosteten Pianokulturen. Sanglichkeit und emotionale Intensität werden zur verdichteten Einheit. Nur ein minimales Risiko bestand: Fast wären diese 220 Minuten zu schön geworden.
Als Göttervater Wotan war James Rutherford, der diesen Part auch in der Einspielung Axel Kobers mit den Duisburger Philharmonikern singt, für Michael Volle eingesprungen. Seine größten Stärken hat Rutherford in der Erzählung des zweiten Aufzugs, dessen mitreißende Aktionsfülle Rattle zum bernsteinfarbenen Leuchten bringt. In Rutherfords Vorwürfen an Brünnhilde gibt es dagegen einige flache Momente, welche Iréne Theorin in der Titelpartie mit schlank attackierenden Höhenschärfen kontert.
Das vokale Glück dieser Aufnahme liegt also bei dem mit Idealkondition agierenden Zwillings- und Liebespaar: Eva-Maria Westbroek ist eine Sieglinde mit dunklem Leuchten und gleich zu Beginn verheißungsvoll sinnlichem Gold-Sopran. Stuart Skelton zeigt mehr baumstammfeste und dabei imponierende Virilität als Siegmunds immer im Sprung befindliche Nervosität. So wird dessen Konfrontation mit dem bekanntermaßen stimmmächtigen Hunding von Eric Halfvarson zum Wettkampf durch Kraft. Eine Überraschung ist die im Streit mit Wotan phänomenal taktile und dabei lyrisch intensive Fricka von Elisabeth Kulman. Sie gurrt wie eine junge Verführerin und macht die oft als frustrierte Matrone vorgeführte Hüterin der Ehe zur vitalen Frau, deren Liebe zum Gott und Gemahl noch nicht ganz verglüht ist.
In dieser Gestaltung, bei der die Ensembles der durchweg kultivierten Walküren von den Mikrofonen mit etwas zu wenig Nachdruck eingefangen wurden, löst Rattle sich mit den auch alle Soli mit blühender und dabei durchsichtiger Topform spielenden Musikern von der Wagner oft zugesprochenen Lust am Untergang. Mit dem luxuriös und doch distinguiert leuchtenden Orchester reiht er die Handlung zu retardierenden Momenten, bei denen keine Figur die Notbremse zur Verhinderung der Katastrophe zieht. Eine spannungsgeladene Hörer-Verführung.
Roland Dippel