Schoenbaum, David

Die Violine

Eine Kulturgeschichte des vielseitigsten Instruments der Welt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler, Kassel 2015
erschienen in: das Orchester 02/2016 , Seite 66

Die Violine ist ein „weltumspannendes Instrument“, schreibt David Schoenbaum, das die Globalisierung in unserer Zeit schon ab dem 16. Jahrhundert vorweggenommen hat, als sie sich in ganz Europa, dann weltweit bis nach Indien und China verbreitete. Sie wird nicht nur in klassischer Musik, sondern ebenso in amerikanischer Folkmusic oder Karnatischer Musik in Indien gespielt.
David Schoenbaum wurde als Historiker mit Büchern über Hitlers „braune Revolution“ oder die „Spiegel-Affäre“ bekannt. Ihm geht es häufig um soziale Fragen, weshalb sein Buch über die Violine in der englischen Ausgabe auch den Untertitel „A social history“ trägt. Seit frühester Jugend ein passionierter Geigenspieler faszinierte ihn dieses Instrument so sehr, dass er ihm ein umfangreiches Buch widmte. Er sammelte in bewundernswürdiger Akribie eine unendlich scheinende Menge an Informationen, die er 2012 in seinem über 700 Seiten dicken Wälzer vorlegte. Allein das ziemlich klein gedruckte Namenregister umfasst 25 Seiten! Wer soll und kann das alles lesen? Ist es nicht ein Anachronismus, im Web-Zeitalter ein solches Buch zu publizieren?
Leser, die gerne schmökern, werden das lebendige, spannende und mit Anekdoten gewürzte Buch voller Vergnügen lesen und hieraus für Smalltalk in Konzertpausen reichlich Stoff erhalten, auch wenn sie sich nur einige Prozent des Inhalts merken. Ebenso als Nachschlagewerk in Sachen Violine ist dieses Buch unschlagbar, dank des bereits erwähntes Registers. Aber wer zum Beispiel im Kapitel „Das Geigenspiel“ erwartet, etwas darüber zu erfahren, wie man Violine spielt, wird enttäuscht. Auch wer die Entstehungsgeschichte der Violine kennenlernen möchte, liegt hier falsch. Der Autor ist nicht Musikhistoriker, seine Methode ist die Sozialgeschichte. Er beleuchtet die Violine aus vielen, nicht primär musikalischen Blickwinkeln: Wirtschaft, Handwerk, Romane, Gedichte oder Werke der bildenden Kunst, in denen die Violine eine Rolle spielt. „Geschäfte und Politik“, „Rasse, Klasse und Geschlecht“ (wie einige Kapitel heißen) interessieren ihn.
Auf diese Weise gelingt es Schoenbaum, den Quellen viel neues Wissen zur Violine zu entlocken, das aus musikhistorischem Blickwinkel unentdeckt geblieben war. Man erfährt so Erstaunliches über die Entwicklung des Geigenbaus nicht nur in Cremona oder Mittenwald, sondern auch in China. Schoenbaum erzählt zahlreiche Episoden zum Geigenhandel, über Fälschungen und immense Wertsteigerungen. Er zeigt die Berufsbedingungen für Violinspieler von den Sklaven- Musikern im Virginia des 17. bis hin zu den großen Symphonieorchestern des 19. Jahrhunderts. Seine Detailliebe führt freilich auch dazu, uns Leser etwas zu verwirren; nicht immer wird klar, warum das, was hier alles geschrieben wird, wichtig ist. Aber für Violinliebhaber ist dieses Buch zweifellos eine unerschöpfliche Fundgrube.
Franzpeter Messmer