Hoffmann, Bettina

Die Viola da Gamba

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Ortus
erschienen in: das Orchester 12/2014 , Seite 69

Je mehr sich die Erkenntnis durchsetzt, dass auch moderne Musiker gut beraten sind, wenn sie zum Wohle ihrer Interpretation, ihrer Unterrichtstätigkeit, ja ihrer gesamten Existenz als „Musikus im eigentlichen Verstande“ (Quantz) etwas von alten Instrumenten und alter Musik verstehen sollten, desto mehr wächst der Bedarf an entsprechender Literatur – ein Prozess, der durchaus zu begrüßen ist. Oft ist damit allerdings die Gefahr verbunden, dass solche „Einführungen“ oder „Überblicke“ zu vereinfachend, zu pauschal, zu oberflächlich geraten, weil sie zu jedem nur möglichen Aspekt das Nötigste glauben sagen zu müssen.
In dieser und vielerlei anderer Hinsicht ist das Buch von Bettina Hoffmann in seiner klugen Disposition, der Menge seiner gut gewichteten und gut verständlichen Informationen, seiner Originalität und seinem Praxisbezug ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, was man heute, auch wenn ein Buch wie Die Gambe von Annette Otterstedt (Bärenreiter 1994) bereits auf dem Markt ist, an Zusätzlichem, Neuem, Profundem noch beitragen kann.
Die sechs Großkapitel („Zum Kennenlernen“, „Anatomie einer Gambe“, „Die Vorfahren“, „Renaissance“, „Barock und Klassik“, „Die Wiederbelebung“) zeugen von einer tiefen Einsicht in Geschichte und Wesen der Gambe, ihre Musik und deren stilistische Ausprägungen, und sie lassen die große Erfahrung spüren, die die Autorin im aktiven Musikleben, als Verfasserin wissenschaftlicher Abhandlungen, Herausgeberin und Dozentin angesammelt hat. Ausführungen etwa zum historischen Klangbild, zu den Widersprüchen zwischen den Bünden und der nicht-gleichschwebenden Temperatur jener Zeiten oder zur Wiederbelebung des Gambenspiels im 19. und 20. Jahrhundert sind ebenso persönlich wie klar geschrieben. Bei der Lektüre begegnet man nie einem besserwisserischen Akademismus, sondern stets einem Respekt vor der Leistung der „Alten“. Positiv ist auch, dass die ausgewählten Quellentexte stets im Original und in Übersetzung wiedergegeben sind.
Unter den zahlreichen Abbildungen befinden sich viele, die noch nicht jeder kennt. Ein Glossar hilft beim Verständnis der Spezialausdrücke. Das Buch ist eine Übersetzung aus dem Italienischen, das Original erschien 2010 im Verlag L’Epos in Palermo. Dem Ortus-Verlag, der mit seinen Editionsreihen und wissenschaftlichen Studien, mit unbekannter Musik und qualitätvoller Arbeit mehr und mehr von sich reden macht, ist zuzustimmen, wenn er die Auffassung vertritt, man müsse nicht unbedingt etwas Neues schreiben, wenn etwas Gutes bereits geschrieben worden ist. Diese deutsche Fassung stellt nicht nur eine ausgezeichnete Einführung und einen weit dimensionierten Überblick für „Liebhaber“ dar, sondern sie ist durchaus auch eine Bereicherung für „Kenner“ und sogar für Spezialisten.
Peter Reidemeister