Vivaldi, Antonio / Georg Philipp Telemann
Die vier Jahreszeiten / Don Quichotte Suite
Susanne Branny (Violine), Dresdner Kapellsolisten, Ltg. Helmut Branny
Längst ist man nicht mehr so streng wie noch vor Jahren: In der Auseinandersetzung um den wahren Klang alter Musik sieht mans inzwischen eher locker. Einerseits musizieren die einstigen Avantgardisten der historisch informierten Aufführungspraxis mit ganz normalen, soll heißen: modern ausgebildeten Orchestern (etwa Reinhard Goebel). Und angestammte Sinfonieorchester wissen andererseits durchaus, wie vor- oder frühklassische Musik historisch angemessen zu musizieren ist (siehe Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Roger Norrington).
Entsprechend ist die Bandbreite der historisch informierten Interpretation etwa von Antonio Vivaldis Konzerthit Die vier Jahreszeiten kaum mehr überschaubar. Wo man dabei die Grenze zieht zwischen noch und nicht mehr akzeptabel, ist letztlich Geschmackssache oder doch nicht?
Da sind zum Beispiel diese wunderbaren Dresdner Kapellsolisten um die fabelhafte Geigerin Susanne Branny, die Vivaldis vier Concerti mit schlankem Ton, fein ziseliert und im Detail fantasievoll nachzeichnen. Dabei nehmen sie Abstand vom breiten Strich und verschlanken das Vibrato, das die Musiker der Dresdner Staatskapelle normalerweise einzusetzen gewohnt sind. Den italienischen Barockstil nachempfindend und von einem reich verzierenden Cembalo unterstützt ist der Ensembleklang bis zur Knochigkeit abgespeckt, sind die Tempi zügig und die Farben effektvoll leuchtend was einen gesteigerten Willen zur historischen Spielweise hinreichend demonstriert. Aber mit tatsächlicher Barock-Technik hat das dennoch wenig zu tun: Der Ton wird wie gewohnt primär mit der linken Hand gestaltet und nuanciert, während ihn die Bogenhand relativ neutral erzeugt. Aber genau das war zu Vivaldis Zeiten anders, ja geradezu umgekehrt, und unterscheidet heutige Barock-Geiger von modernen Virtuosen.
Zum anderen gibt es heute auch im musikalischen Ausdruck dieser frühen Programmmusiken experimentellere Lösungen für das Gebell der Hunde im Frühling, das Flirren der Hitze im Sommer, die Betrunkenheit der Weinbauern im Herbst und das Knarzen des Schnees im Winter. Dass die stürmische Cellostimme im Mittelsatz des Winters ignoriert wird, weil sie für Irritation sorgt, ist leider symptomatisch: Die historische Sicht weicht Kompromissen, die Konsequenz reicht nur bis an die Grenzen des Gewohnten und geht keinen Schritt darüber hinaus.
Dirigent Helmut Branny setzt auch in Telemanns Suite auf insgesamt forschen Zugriff, interpretatorisch aber begnügt man sich auf unbestritten hohem technischen Niveau letztlich mit dem Üblichen.
Matthias Roth