Julian Ehrhorn

Die Tuttiperspektive

Was Orchestermusiker vom Dirigenten brauchen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 12/2018 , Seite 60

In der Neuerscheinung Die Tuttiperspektive möchte Julian Ehrhorn die Beziehungen im Orchesteralltag aus einem vielleicht etwas ungewohnten Blickwinkel ausleuchten. Dafür begibt sich der Leser in die Sichtweise eines Tutti-Orchestermusikers und erfährt, wie dieser über seine musikalische Arbeit und vor allem über die Rolle des Dirigenten denkt. Wichtig ist dem Autor dabei, seine persönliche Rolle als Beobachter ganz klar zu definieren: „Es sei darauf hingewiesen, dass der Autor kein Musikwissenschaftler, kein Philosoph, kein Psychologe, kein Soziologe und keine Historiker ist, sondern nur ein Orchestergeiger und Alexandertechniklehrer, der sich nebenher noch für Kulturangelegenheiten aller Art interessiert.“
Im ersten Teil des Buchs stehen die größeren institutionellen Zusammenhänge der Orchesterarbeit im Fokus. Die Berufsbilder von Dirigenten und Instrumentalisten werden skizziert, wobei auch unangenehme und herausfordernde Themen nicht ausgelassen werden. Dazu zählen der psychische Druck im Orchester, Nebenbeschäftigungen der Musiker oder auch die optischen Ansprüche des medienverwöhnten Publikums.
Im zweiten Abschnitt, dem „praktischen Teil“, geht es speziell um die Rolle des Dirigenten. Der Autor stellt die Frage in den Raum, wie diese Führungsfigur sowohl im Konzertalltag wie auch im fast noch wichtigeren Probenalltag den breiten Ansprüchen gerecht werden kann. Hierfür listet er 95 alltägliche Situationen aus dem Orchesterleben als Beispiele auf. Die Perspektive des Orchestermusikers erweist sich dabei als sehr lehrreich, vor allem im Bezug auf die Dirigenten mit ihren unterschiedlichen Führungsqualitäten und Kommunikationstechniken. Denn letztendlich kann der Orchestermusiker die Herangehensweise des Dirigenten am Besten danach beurteilen, ob dieser seine Vorstellungen auf das Orchester übertragen kann oder nicht. Dabei werden musikalische Parameter genauso wie rhetorische und körpersprachliche Komponenten unter die Lupe genommen.
Zum letzten Punkt bringt der Autor auch seine Erfahrungen als Alexandertechniklehrer ein. Nach einer kurzen Beschreibung dieser Technik ermöglicht er dem Leser damit einen weiteren wertvollen Einblick in die überaus körperlich geprägten Tätigkeiten des Dirigenten und der Musiker. Im abschließenden dritten Teil fasst Ehrhorn seine Beobachtungen aus der Tuttiperspektive noch in 155 Ratschlägen zusammen, die er sämtlichen Dirigenten ans Herz legen möchte.
Insgesamt ist dieses Werk damit besonders für Orchesterleiter empfehlenswert, die sicher die eine oder andere Anregung für ihre tägliche Arbeit aus dieser Lektüre mitnehmen können. Genauso sind aber auch Orchestermusiker eingeladen, sich mitels dieses Buchs ein wenig selbst zu hinterfragen. Denn irgendwo wird sich wohl jeder Musiker in den vielfältigen Beispielen aus dem Orchesterleben wiederfinden. Nicht zuletzt ist das Buch mit seinen vielen Details aus dem Proben- und Konzertalltag natürlich auch für jedermann aus der „Publikumsperspektive“ lesenswert!
Stefan Landes

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